Ein Toter hat kein Konto
Riegel
vorgeschoben“, antwortete ich. „Und jetzt ist er anscheinend ebenfalls an
seinem Platz.“
Ich drückte kräftig. Die Tür öffnete sich mit
einem leisen Geräusch. Wir betraten die Wohnung.
Der Doktor ging sogleich in das Zimmer, in dem
der Tote in ewiger Ruhe auf seinem Bettvorleger lag. Ich erinnerte den Arzt
daran, daß er nichts berühren dürfe. Ich hatte ihn nicht hierher mitgeschleppt,
damit er ein Durcheinander anrichtete. Er sollte sich nur vergewissern, daß ich
ihm kein Märchen aufgetischt hatte und mich nicht aus Sparsamkeitsgründen von
ihm nach Sceaux chauffieren lassen wollte.
Während er die Leiche untersuchte, tat ich das
gleiche mit dem Riegel. Seit meinem letzten Besuch hatte sich an ihm nichts
verändert. Enttäuscht ließ ich den Türvorhang fallen, den ich zur Seite
geschoben hatte. Der Vorhang war, offensichtlich von einem Amateur, schief
angebracht worden und brauchte eine Weile, bis er die gesamte Türfläche
bedeckte. Dabei hakte sich der Stoff an dem Riegel fest und schob ihn in die
Fassung. Ich wiederholte das Experiment mehrmals, um mich davon zu überzeugen,
daß sich der Vorgang immer genauso wiederholte. Komisch, daß Roland — zu
Lebzeiten — nichts dagegen unternommen hatte. Schließlich ist es ziemlich
lästig, wenn man beim Nachhausekommen jedesmal einbrechen muß!
„Aha!“ hörte ich Péricats heisere Stimme hinter
mir krächzen. „So schiebt sich also der Riegel vor, hm?“
„Haben Sie geglaubt, Roland wäre vorübergehend
wiederauferstanden, um sich zu verbarrikadieren?“ gab ich zurück.
Die irgendwie vertrauten Augen des Arztes nahmen
nach und nach die Form und die Größe von Lottokugeln an. Noch so eine
Kraftanstrengung seines Hirns, und sie würden aus ihren Höhlen fallen. Dann
nahm sein Gesicht einen tieftraurigen Ausdruck an, was auf sein Beisammensein
mit dem Toten zurückzuführen war.
„Kein Zweifel an seiner Identität?“ fragte ich.
„Kein Zweifel. Es ist Rol...“ Er schluckte.
„Roland Flauvigny... Großer Gott!“ rief er. „Wie ist das Ihrer Meinung nach
passiert?“
Ich hatte ihm zwar schon in seinem Arbeitszimmer
meine Hypothese dargelegt, aber die Fügsamkeit, mit der er mir bis hierher
gefolgt war, mußte belohnt werden. Gleichzeitig sollte er Gelegenheit bekommen,
einen Privatflic bei der Arbeit zu bewundern. Ich hielt also wieder meinen
kleinen Vortrag und veranschaulichte das Ganze mit den Beweisstücken: Gasherd,
Wassertopf, schwarze Brühe. Natürlich ohne etwas anzufassen und mit der Ermahnung
an ihn, meinem Beispiel zu folgen.
„Warum beharren Sie so sehr darauf?“ wollte er
wissen. „Denken Sie an... an ein Verbrechen?“
„Unfall, Monsieur, Unfall. Ihr Freund würde
keine andere Version ertragen. Und jetzt auf zum letzten und schwersten Akt! Wir
müssen es dem Alten beibringen. Fahren wir!“
Wir gingen zum Wagen zurück und fuhren in
Richtung Porte d’Orléans.
„Armer Junge!“ bemitleidete Péricat den Toten,
als wir an dem Löwen von Belfort vorbeifuhren. „Woher wußte Flauvigny
eigentlich, daß sein Sohn in schlechte Gesellschaft geraten war?“
„Von seiner Tochter, glaub ich.“
„Ach!“
Die Hände am Lenkrad zitterten ein wenig.
Während der restlichen Fahrt wechselten wir kein Wort mehr miteinander.
Aufforderung zum Tanz
Zum zweitenmal stand ich heute in der
Eingangshalle der Villa des alten Industriellen. Und wieder leisteten mir nur
die blankgeputzten Ritterrüstungen Gesellschaft. Auf einem Brustharnisch
blinkte die untergehende Sonne, die sich noch einmal so richtig zeigen wollte.
Pfeife im Mund, durchmaß ich die riesige Halle, die die Dimension einer
Kathedrale besaß. Ich war ungeduldig zu erfahren, wie es weitergehen würde. So
richtig konnte ich mir’s nicht vorstellen.
Es ging auf sieben Uhr zu. So langsam meldete
sich mein Magen. Ich ermahnte ihn, sich noch ein wenig in Geduld zu üben; denn
es war wenig wahrscheinlich, daß Flauvigny mich zum Abendessen einladen würde.
Im Moment hatte der Hausherr andere Sorgen als die, den perfekten Gastgeber zu
spielen. Bewacht von seinem Leibarzt, lag er in seinem Schlafzimmer und erholte
sich sowohl von der Aufregung als auch von der Beruhigungsspritze.
Die Stille des vornehmen Hauses wurde um Punkt
sieben unterbrochen. Einerseits von einer Standuhr im Zimmer nebenan, die ihrer
Aufgabe nachkam; andererseits von Dr. Péricat, der oben auf der Treppe
erschien. Langsam, Stufe für Stufe, kam er herunter, mit ernster Miene, wie
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