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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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einiger
Überlegung?“
    „Man kann in der Tat über eine Menge
Merkwürdigkeiten philosophieren. Zum Beispiel über das geschlossene Fenster und
die Stoffwurst vor der Tür. Auch wenn in diesem Jahr der April mehr ein März
ist, kann man sich fragen, ob der Student wirklich so verfroren war. Und dann
die seltsame Art, seinen Kaffee zuzubereiten „War’s echter Kaffee?“
    „Ja, aufgebrüht wie Ersatzkaffee. So ein
Sakrileg! Mir als Kaffeetrinker kommen dabei die Tränen. Auch über seine
Unvorsichtigkeit kann man sich wundern. Zünde nie deinen Gasherd an, wenn du
dich auf den Weg ins Künstliche Paradies machst! Das ist eine alte goldene
Kifferregel. Ja, man kann über eine Menge philosophieren.“
    „Und Selbstmord?“
    „Kaum. Sich dem Willen der schwarzen Brühe zu
überlassen, um die Reise in eine bessere Welt anzutreten, heißt, den Zufall als
Henker zu wählen. Sicher, der Kaffee wird überkochen und die Flamme löschen;
aber er kann auch die Löcher verstopfen, durch die das Gas entweicht, und damit
die Selbstmordpläne durchkreuzen. Und dann das Fenster! Es kann noch so dicht
schließen, ein Verzweifelter gibt sich nicht damit zufrieden.
Selbstmordkandidaten sind nach meiner Erfahrung umsichtiger. Sie würden alle
Ritzen mit Klebestreifen abdichten. Roland hat das nicht getan. Weiter: Nur die
Verbindungstür zur Küche war geschlossen. Die Stoffrolle alleine sollte
verhindern, daß der Geruch nach außen drang. Sie hat’s nicht verhindert, sonst
hätten Sie den Geruch nicht wahrgenommen. Außerdem habe ich nichts gefunden,
was wie ein Abschiedsbrief aussah. Ein Abschiedsbrief jedoch, damit erzähle ich
Ihnen nichts Neues, gehört zur Grundausstattung eines Menschen, der freiwillig
aus dem Leben zu scheiden gedenkt.“
    „Eine Art Naturgesetz, ja“, stimmte mir Hélène
zu. „Nichts davon…“
    „...war in unserem Fall zu finden, nein. Und
noch eine andere Gewohnheit zeichnet Selbstmörder aus: Sie verbarrikadieren
sich geradezu, um eventuelle Rettungsaktionen zu verzögern — was sie manchmal
wohl im nachhinein bedauern. Rolands Wohnungstür war nicht mal abgeschlossen,
nur mit einem Riegel gesichert. Ein eher dürftiger Schutz gegen unbefugtes
Eindringen. Aus all diesen Gründen“, schloß ich, „schließe ich Selbstmord aus.“
    „Es gibt noch eine andere Möglichkeit“,
sinnierte Hélène nach einer kurzen Denkpause.
    Ich warf ihr einen Seitenblick zu.
    „Mord? Daran habe ich auch schon gedacht, halte
es aber für unwahrscheinlich wegen des Riegels. Man müßte einen Draht zwischen
Tür und Rahmen schieben, um von außen den Riegel in die Fassung zu ziehen. Ich
habe mir die entsprechende Stelle genau angesehen. Da paßt kein Haar hindurch!
Außerdem verlangt eine solche Übung viel Geschick und noch mehr Zeit, was die
Chance, überrascht zu werden, erhöht... Nein, Sie können Ihre Vermutungen vergessen.“
    „Meine Vermutungen gingen gar nicht in diese
Richtung“, widersprach Hélène. „Ich dachte eher an einen vorgetäuschten
Selbstmord, aus dem dann Ernst wurde.“
    „Einen Selbstmord mit dem Ziel, jemanden
moralisch zu erpressen?“
    „Ja. Die Inszenierung war zu perfekt, und nun
ist der moralische Erpresser tot.“
    „Aber in dem Fall hätten wir einen
Abschiedsbrief gefunden“, beharrte ich. „Gerade in dem Fall! Und irgendein
Freund wäre uns über den Weg gelaufen, mit dem Roland sich zu einer bestimmten
Uhrzeit zu Hause verabredet hätte. Ein Freund, der sich verspätet hätte. Ein
Freund, der zum Zeugen hätte werden sollen... und zum Retter.“
    „Es gibt Leute, die einen versetzen, nicht
wahr?“
    „Und andere, die vom Pech verfolgt werden?
Natürlich. Der lebende Roland auf dem Foto sah so aus, als wäre er so einer
gewesen. Aber Selbstmord hin und her, vorgetäuscht oder nicht, ein
Abschiedsbrief gehört dabei zur Dekoration. Nein, die plausibelste Erklärung
ist die eines Unfalls. Eines dummen Unfalls wie alle Unfälle, zufällig in dem
Augenblick, als ich damit beauftragt wurde, dem jungen Mann die Flausen
auszutreiben. Ein zufälliger, dummer Unfall... Ich glaube übrigens nicht, daß
die gesellschaftliche Stellung und der Gesundheitszustand des alten Flauvigny
eine andere Version zulassen.“
    „Sie wollen die Unfallthese vertreten, auch wenn
sie falsch ist?“
    „Vielleicht.“
    „Dem jungen Mann die Flausen auszutreiben! Der
Alte wird finden, daß Sie sich der Aufgabe ziemlich gründlich entledigt haben.“
    „Das glaube ich allerdings auch. Er ist

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