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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Nichts hätte ihn härter treffen
können... außer vielleicht die Ernennung eines Arbeiterkomitees zur Überprüfung
seiner Konten. Er lag in seinem Bett, das direkt aus dem Lager von Du Barry oder
Cécile Sorel zu stammen schien — auf jeden Fall aber aus jener Epoche. Der
magere Körper zeichnete sich unter den Decken kaum ab. Blutleer und
schweißbedeckt ruhte sein Gesicht in den Kissen, glänzend wie eine Messerklinge
und genauso spitz. Mit den dunkelbraunen Ringen unter seinen fiebrigen Augen
sah Flauvigny mehr denn je wie ein Raubvogel aus.
    „Na, Nestor Burma?“ begrüßte er mich. „Sie sind
ein hervorragender Detektiv, was?“
    Seine Stimme war schwach, ganz anders als heute
morgen; aber noch stark genug, um eine gehörige Portion Sarkasmus zu verteilen.
    „So wird behauptet, ja“, erwiderte ich mit
Engelsgeduld. Er nahm all seine Kräfte zusammen und krächzte:
    „Ein Detektiv oder ein Sargträger?“
    Ich stand mitten im Zimmer und atmete tief
durch.
    „Ein Detektiv, den die Ereignisse manchmal in
einen Sargträger verwandeln. Zum Beispiel dann, wenn man ihn zu spät anruft. Es
gibt viele Kranke, die so lange zögern, den Arzt kommen zu lassen, daß der dann
nur noch...“
    „Lassen Sie mich doch mit den Ärzten in Ruhe! Ich...“
    Er war mir unhöflich ins Wort gefallen. Ich
paßte mich seinen Umgangsformen an.
    „Unten sitzt einer“, unterbrach ich den
Hausherrn. „Wenn Sie sich weiter so aufregen, muß er wieder eingreifen. Also,
beruhigen Sie sich lieber und sagen Sie mir, was ich tun soll!“
    Er schnaufte wie ein Walroß, wischte sich mit
einem Taschentuch die Stirn ab und lag eine Weile mit geschlossenen Augen und
offenem Mund da. Endlich fand er seine Sprache wieder.
    „Sie sollten mir eigentlich etwas erzählen“,
knurrte er. „Ich will alles wissen, was... was... Los, fangen Sie an! Ich bin
keine Mimose, die nichts vertragen kann. Ich bin stark genug, um.mir anzuhören,
was Sie zu sagen haben.“
    „Um so besser, Monsieur“, sagte ich und setzte
mich auf einen Stuhl. „Also dann... folgendes...“
    Als ich meinen Bericht beendet hatte, herrschte
tiefes Schweigen. Der Greis brach es als erster.
    „Sie haben Roland... tot in seiner Wohnung
gefunden“, stammelte er, die Augen fest auf die Musselingardinen vor dem
Fenster geheftet.
    Ich nickte nur stumm. Mir schien, ich hatte ihm
so etwas Ähnliches zu verstehen gegeben.
    „Er hatte geschlafen, sagen Sie... Was hatte er
am Nachmittag zu schlafen? Er hat wohl ein lustiges Leben geführt, der Bengel!“
    „Ich habe Ihnen noch nicht gesagt, daß... Ich
wollte Sie nicht zu sehr strapazieren
    Gérard Flauvigny wurde wieder Chef von Gottes
Gnaden. „Ihr Zögern strapaziert mich mehr als alles andere, Burma. Spucken
Sie’s aus!“
    „Ich habe Erkundigungen über den Club Antinéa eingeholt. Es werden dort Geschäfte getätigt, verschiedene Geschäfte...“
    Der Alte verdoppelte seine Aufmerksamkeit.
    „Vor allem mit Drogen“, beendete ich endlich
meinen Satz. Der Chef von Gottes Gnaden sah ein, daß er hier nichts zu suchen
hatte. Er schlich sich davon und ließ nur noch einen leidgeprüften Vater
zurück, der sein Gesicht im Kopfkissen barg und flüsterte:
    „Aha! Und Roland...“
    „Ja. Er stand unter Rauschgift, als die
Gasflamme ausging.“ Gérard Flauvigny fuhr sich mit dem Zeigefinger über seinen
Nasenrücken, so als prüfe er nach, ob die Messerklinge scharf war. Dann wischte
er sich wieder den Schweiß von der Stirn, diesmal mit einem anderen
Taschentuch, da das erste nicht mehr zu gebrauchen war. Als nächstes kamen die
feuchten Hände an die Reihe. Ich nahm den sauren Schweißgeruch wahr.
    „Was für Drogen?“ fragte er schließlich.
    „Haschisch unter anderem. Vielleicht auch
Meskalin und Kokain. Die ganze Palette. Na ja, Dreck eben.“
    Er atmete aus wie ein Reifen, aus dem die Luft
entweicht. Seine Augen verloren sich an der Decke und fanden sich am Gesims
rechts oben wieder.
    „Erzählen Sie noch mal, wie das passiert ist.“
    Entweder wollte er sich abhärten oder vor Kummer
sterben. Und das in meiner Anwesenheit, um mich als Überbringer der
Hiobsbotschaft zu bestrafen. Ja, und? Sollte er wirklich vor meinen Augen abkratzen,
wäre er eben der dritte Tote des Tages. Ich lebe von Leichen wie er von dem
beschwerlichen, sparsamen Leben seiner Arbeiter.
    Ich erzählte das Ganze noch einmal und ließ ihm
dann Zeit, die zweite Ausgabe meines Berichts zu verdauen.
    „Und jetzt“, schlug ich nach einigen

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