Ein Toter hat kein Konto
mit
laufendem Motor auf die menschliche Fracht. Es roch nach Uniformstoff, Schweiß
sowie Jucken in Fingern und weißen Stöcken. Das schummrige Licht der
Straßenlaternen fiel auf die Helme, mit denen sich die Flics mit ihrem Sinn
fürs Dramatische geschmückt hatten. Faroux maß der Aktion eine Bedeutung bei,
die er mir verheimlicht hatte.
Ein Uniformierter kam auf uns zu und verlangte
unsere Papiere. Die Befehle „Weitergehen!“ oder „Rein in den Wagen!“ warteten
nur auf ein Zeichen, um sich von seinen Lippen zu lösen. Das Zeichen blieb aus.
Der Flic erkannte mich und lächelte. Es war der Inspektor aus der Rue Lhomond.
„Wollen Sie sich das Schauspiel ansehen,
Monsieur Burma?“ fragte er.
„Kommissar Faroux hat mich eingeladen“,
erwiderte ich. „Dies ist meine Sekretärin, Mademoiselle Châtelain. Sie ist noch
nie in eine Razzia geraten. Mit etwas Glück könnte sie vielleicht die Nacht in
Polizeigewahrsam verbringen.“
Der Inspektor kapierte sofort, daß das ein Witz
sein sollte. Er lachte kurz auf, um dann eine besorgte Miene aufzusetzen. Er
schien die Pointe zu suchen.
„Der Kommissar ist im Club“, sagte er dann.
„Soll ich Sie dorthin begleiten?“
„Das Lokal ist geöffnet?“ fragte ich erstaunt.
„Natürlich! Meinen Sie, wir hätten die Leute
gewarnt?“
Er lachte schallend. Endlich ein Witz, den er
kapierte!
Vor dem Antinéa sah es aus, als wäre
nichts Besonderes los. Nur ein Flic ging vor dem Eingang auf und ab. Ich war
verblüfft.
Sowohl der Rausschmeißer als auch das
grellgeschminkte Mädchen an der Garderobe waren auf ihrem Posten. Etwas nervös,
aber auch nicht mehr. Ich sah sie mit großen, staunenden Augen an. Dann
erinnerte ich mich daran, daß man sie in der vorigen Nacht abgelöst hatte, um
mir den Trick mit der Rasierklinge vorzuführen. Die beiden waren nicht in das
Geheimnis der Götter eingeweiht. Ich vermutete, daß man nicht viele — um nicht
zu sagen: niemanden — in dem Club finden würde, die wußten, was im Antinéa gespielt wurde. Der Boß war alles andere als dumm, auch wenn er sich manchmal
von seinem Zorn hinreißen ließ. Er hatte bestimmt eine Ersatzmannschaft in der
Hinterhand. Das Sicherheitssystem hatte funktioniert. Als ich Faroux traf,
gestand er mir den Reinfall. Unten in dem Lokal kontrollierten seine Leute die
Gäste. Ein Araber begleitete sie auf ihrem Rundgang, ganz Milch und Honig, so
als wollte er sagen: ,Also wirklich... so eine Maßnahme... Ihr Beruf,
natürlich...’
„Nichts“, sagte Faroux zu mir, „Fehlanzeige.
Außer zwei Verdächtigen, die wir festgenommen haben. Keine Spur von Rauschgift.
Einen prima Tip haben Sie mir da gegeben!“
In diesem Augenblick kam etwas Bewegung in die
dämmrige Bude. Ein Beamter der Sittenpolizei, begleitet von einem Uniformierten
mit Maschinenpistole im Anschlag, kam auf uns zu. Er hatte ein kleines,
schmächtiges Kerlchen am Wickel. Der Mann war weißer als sein schmutziger
Hemdkragen, und auf der Stirn standen ihm Schweißperlen. Der Beamte erklärte,
es handle sich um einen Süchtigen, der bei der Sitte bestens bekannt sei. Wenn
er sich hier aufhalte, dann bestimmt nicht, um Pfefferminztee zu trinken.
„Also doch ‘n prima Tip“, stellte ich fest.
„Mitnehmen“, entschied Faroux. „Holen Sie die
Quintessenz aus ihm heraus. Vielleicht wird er uns was erzählen.“ Die Festnahme
hatte ihn ein wenig aufgemuntert. Der Beamte von der Sitte schob seinen Hut in
den Nacken und kratzte sich am Kopf.
„Die Quintessenz“, murmelte er nachdenklich.
Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Er hatte
soeben seinen Wortschatz um einen Begriff erweitert, der so was Ähnliches wie
„Herausprügeln“ bedeuten mußte. Mit vielversprechender Grobheit schubste er
sein Opfer zum Ausgang.
Eine gute halbe Stunde noch wurde das Lokal auf
den Kopf gestellt, wurde in Ecken und Winkel geleuchtet, die dennoch im Dunkeln
blieben. Ich verfolgte die Inspektion. Beflissen machte der honigsüße Araber
die Honneurs. Ich erfuhr, daß er der offizielle Inhaber des Antinéa war.
Gestern nacht hatte er hier noch keine so herausragende Rolle gespielt. Ich
erkannte die Treppe hinter der Garderobe wieder, den Korridor, durch den ich
gegangen war, Revolver im Kreuz und Rasierklinge an der Kehle; das Büro, in dem
ich so herzlich empfangen worden war. Alles war sauber und ordentlich, alles
roch nach einwandfreier Anständigkeit. Unter dem spöttischen Blick des Arabers,
der aussah wie eine große, Zucker absondernde
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