Ein toter Lehrer / Roman
Du arbeitest zu viel, Lucia. Wirklich. Weißt du, man muss Männern immer das Gefühl geben, sie wirklich zu wollen. Sie brauchen viel Aufmerksamkeit. Sie sind wie Weihnachtssterne.«
»Das war es nicht, Mum. Es lag überhaupt nicht an so was.«
»Vielleicht ist das auch einfach dein Los, Lucia. Wir sind Hamster, genau das sind wir. Sie paaren sich ab und zu, binden sich jedoch nie. Aber sie beißen sich durch, genau wie wir. Wir sind Kämpferinnen, Lucia. Du heißt zwar May, aber in Wahrheit bist du eine Christie. Und Christies kämpfen. Wir müssen kämpfen.«
Eine halbe Stunde später saß Lucia immer noch am Schreibtisch. Sie musste einen Bericht schreiben, aber ihre Hände lagen verschränkt vor der Tastatur, und sie betrachtete die Falten auf ihren Fingerknöcheln.
Stimmen im Treppenhaus ließen sie hochschrecken. Instinktiv wollte sie die Lampe ausschalten, sich verstecken, aber stattdessen zwang sie sich, die Finger auf die Tasten zu legen, und blickte stirnrunzelnd auf den Monitor, als gäbe es dort etwas Spannenderes zu sehen als eine leere Seite und einen blinkenden Cursor. Sie schrieb ihren Namen, vertippte sich. Dann schloss sie Word und öffnete ein Browserfenster. Ihre Finger tanzten einen Augenblick in der Luft, schließlich gab sie »Samuel Szajkowski« bei Google ein und drückte Return. Während die Stimmen lauter wurden, sah sie die Ergebnisse durch, klickte auf einen Link, ging wieder zurück und klickte auf den nächsten.
»Gib mir fünf Minuten«, sagte jemand. »Dann halt zwei, verdammte Scheiße. Ich brauche nur zwei Minuten.«
Sie hatte gewusst, dass er es war. Es war praktisch unmöglich gewesen, dass er es nicht war.
»Macht’s euch gemütlich, Leute. Sieht so aus, als wäre jemand da.«
Lucia griff zum Telefonhörer, aber dann fiel ihr ein, dass man sie sprechen gehört hätte, wäre sie wirklich am Telefon gewesen, und sie legte wieder auf. Hinter ihr befand sich ein Notausgang. Sie wollte fliehen. Sie zog es tatsächlich in Erwägung.
»Lulu!« Seine Krawatte war lose, und sein Hemd war aus dem straff gespannten Hosenbund gerutscht. Seine Wangen leuchteten in demselben fettgesprenkelten, fleckigen Rot wie rohe Frikadellen, und selbst aus zehn Metern Entfernung wusste sie, dass sein Atem wie ein mit Bier übergossener voller Aschenbecher roch. Hinter ihm standen Charlie, Rob und Harry.
»Walter.«
»Lulu!«, sagte er noch einmal. »Du bist extra aufgeblieben und hast auf mich gewartet!«
»Wie war es bei Gericht?«, fragte Lucia. Die Frage galt Harry, der mit seinen Kneipenkumpels im Schlepptau durch das Büro kam. Harry zögerte, bis es zu spät war für eine Antwort.
»Reine Zeitverschwendung«, sagte Walter. »Verdammte Richter.«
»Wieso? Was ist passiert?«
»Zwei Lesben und eine Tucke, das ist passiert. Aber was will man machen?« Walter rückte näher und ließ sich mit einer Pobacke auf Lucias Schreibtischkante nieder. Seine Geldbörse drückte sich aus dem speckigen Stoff der Gesäßtasche. »Apropos Lesben«, sagte Walter und grinste seinem mitgebrachten Publikum zu. »Was machst du eigentlich hier, Lulu? Du weißt schon, dass das Wochenende angefangen hat, oder? Cole kannst du nicht beeindrucken, der ist nicht da.«
»Dein Hosenstall steht offen, Walter. Weißt du das?«
Walter grinste. Er sah nicht einmal runter. »Warum guckst du auf meinen Hosenstall, Lulu?«
»Hey, Walter.« Das war Harry. »Ich hab Durst. Jetzt hol einfach deinen blöden Papierkram und lass uns hier abhauen, ja?«
»Der Pub läuft uns nicht weg, Harry. Keinen Stress. Ich habe gerade einen netten Plausch mit unserer entzückenden kleinen Lulu.« Walter wandte sich wieder zu Lucia. Er rutschte über den Schreibtisch, um die Ecke herum. Sein Oberschenkel war jetzt nur noch ein paar Zentimeter von ihrer Maushand entfernt. Lucia versuchte, sie nicht wegzuziehen, aber sie konnte nicht anders. Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Seht euch das an«, sagte Walter. »Mein Hosenstall ist offen. Lulu hat mich mit Blicken ausgezogen!«
Charlie lachte. Rob lachte.
»Tust du mir einen Gefallen, Schätzchen? Sei so lieb und mach meinen Reißverschluss wieder zu, damit der kleine Schlingel nicht rausfällt.«
»Da wäre ich ganz unbesorgt, Walter. Ich glaube kaum, dass ihn jemand bemerken würde.«
Charlie lachte. Rob lachte. Harry schmunzelte.
Walter rückte noch näher. Sein Bein berührte ihres, und er drückte es dagegen. Lucia spürte seine Schuhsohle an ihrem
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