Ein toter Lehrer / Roman
getan haben. Was die Schule sonst noch getan hat.«
»Was hätte ich denn Ihrer Meinung nach tun sollen? Elliot Samson ist einer unserer Schüler, aber darüber hinaus haben wir mit dem Vorfall nichts zu tun. Hätte er sich irgendwo auf dem Schulgelände ereignet, wäre es vielleicht …«
»Es ist auf der Straße passiert. Auf der Straße unmittelbar vor Ihrer Schule. Und es waren Ihre Schüler.«
»Wer sagt das, Detective? Niemand kann das wissen. Der Junge spricht nicht, wie Sie ja selbst sagten. Und bedauerlicherweise gibt es keine Zeugen. Es hat sich niemand gemeldet.«
»Es hat sich niemand gemeldet«, wiederholte Lucia. »Sind Sie da sicher?«
»Sie wissen es besser als ich, Detective«, gab der Direktor zurück. »Aber nein, soweit ich weiß, gab es keine Zeugen. Natürlich nur, sofern Sie bei Ihren Ermittlungen nicht doch noch einen ausfindig gemacht haben.«
»Nein«, sagte Lucia. »Nicht direkt.«
Lucia war die Einzige in ganz London, die immer noch am Schreibtisch saß, obwohl sie nicht musste. Sie dachte einen Moment über diese Tatsache nach. Dann darüber, in den Pub zu gehen, weniger, ob sie es tun sollte, sondern vielmehr über die Idee dahinter: in den Pub gehen. Sie überlegte, wann sie das letzte Mal in einen Pub gegangen war, und zwar in dem Sinne, den der Ausdruck nahelegte, nicht als Ereignis, das sie nervös machte, für das sie sich herausputzte und auf das sie sich freute. Und das sie enttäuschte.
Sie überlegte, ihren Vater anzurufen, bezweifelte aber, dass sie die richtige Nummer hatte. Sie hatte schon schlechtere Ausreden gehabt. Sie würde ihre Mutter anrufen. Das sollte sie tatsächlich. Aber schon beim Gedanken daran wurde sie müde, und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich noch einsamer als ohnehin.
Es war nicht fair. Vielleicht war sie nicht fair. Sie war müde und abgespannt, dafür konnte sie kaum jemanden verantwortlich machen, mit dem sie seit einem Monat kein Wort mehr gesprochen hatte. Reden half vielleicht, sagte sie sich. Bestimmt half es.
Sie nahm den Hörer und wählte.
»Mum. Hallo.«
»Lucia, du bist es. Ich dachte schon, es wäre dein Vater. Das ist genau die Zeit, um die er meist anruft.«
»Es ist schon spät. Tut mir leid. Ich dachte, du bist sicher noch wach.«
»Ich bin noch wach. Aber darum geht es nicht. Die Sache ist, es wäre ihm egal gewesen, ob ich noch wach bin oder nicht. Er hätte einfach angerufen und erwartet, dass ich rangehe.«
»Ich rufe morgen noch mal an, morgen früh.«
»Nein, nein, nein. Du bist es ja. Du bist nicht er. Du kannst jederzeit anrufen, das weißt du. Du meine Güte, es ist aber auch wirklich spät. Was ist denn los? Ist irgendwas passiert?«
»Nein, es ist nichts passiert. Mir geht’s gut. Ich ruf bloß an, weil, na ja. Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört, das ist alles.«
»Tatsächlich? Ja, wahrscheinlich hast du recht. Aber das Telefon klingelt im Moment in einer Tour, und jedes Mal ist es, als würde jemand hinter dem Sofa hervorkommen und mich anspringen. Wenn er verzweifelt ist, ruft er nämlich ständig hier an. Er lässt mir keine ruhige Minute.«
»Du weißt, warum er das tut, Mum. Du solltest ihn nicht dazu ermutigen.«
»Aber ich muss ihm was geben, sonst lässt er mich nicht in Frieden. Wenn nicht, dauert es nicht lange, und ich hab ihn hier auf dem Sofa liegen. Oder ich liege auf dem Sofa, und er macht es sich in meinem Bett gemütlich, so würde es wahrscheinlich aussehen. Und dann geht er nie wieder. Dann werde ich ihn nie wieder los.«
»Aber du kannst es dir nicht leisten, Mum. Und du solltest ihn wirklich nicht dazu ermutigen.«
»Aber er hat einen Plan. Er sagt, er hätte einen. Und die Schulden – angeblich hat er keine. Er fange bei null an, sagt er, aber es gehe jetzt bergauf, und er brauche eine Grundlage. Eine Art Starthilfe.«
»Starthilfe?«
»Ich bin seine Trittleiter. So nennt er mich. Nach dreizehn Jahren Ehe ist das alles, was ich für ihn bin. Etwas aus dem Baumarkt.«
»Er hat keinen Plan, Mum. Er hatte noch nie einen.«
»Apropos Männer, Schätzchen, wie geht es David? Ist er da? Gib ihn mir doch mal.«
»Mum. Ich hab dir doch gesagt, was mit David ist.«
»Was? Was hast du mir gesagt?«
»Zwischen David und mir ist es aus. Das hab ich dir doch erzählt.«
»Nein! Seit wann denn? Das hast du mir nicht erzählt. Solche Sachen erzählst du mir nie.«
»Aber natürlich hab ich dir das erzählt. Ganz sicher.«
»Nein, hast du nicht. Was ist passiert?
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