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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Tore waren offen, und der Schulhof hatte sich in einen Parkplatz verwandelt. Überall standen Transporter, hauptsächlich weiße – Transporter, die einmal weiß gewesen sein mussten, bevor sich ein grauer Schmutzfilm darauf gelegt hatte. Reinigungsfirmen, Entsorgungsdienste, Fußbodenleger, ein Klempner. Männer in fleckiger Arbeitskluft saßen in der schattigen Zuflucht der Führerhäuser und ließen die sonnenverbrannten Arme heraushängen, die Zigaretten zwischen ihren Fingern schienen die Hitze der Motoren, des Teers und der Sonne noch zu verstärken. Zerdrückte Coladosen und Boulevardzeitungen säumten die Reihe der Armaturenbretter, an denen Lucia vorüberging. Irgendwo fiel ihr eine Schlagzeile ins Auge, irgendwas über das Wetter und die Temperaturen und den nahenden Weltuntergang.
    Sie ignorierte die Blicke. Der Schatten des viktorianischen Ziegelbaus tauchte vor ihr auf und verschluckte sie, und plötzlich wurde ihr kalt. Sie ging die Treppe zur Eingangstür hoch, vorbei an den Polizisten, und drängte sich durch die Tür.
    Sie sah niemanden. Aus der Aula drangen das Geräusch von Möbeln, die über den Boden schrappten, und die Baritonstimmen von Arbeitern, beunruhigend fröhlich in Anbetracht der Ursache für das Chaos, das sie beseitigten.
    Fast wäre sie wieder gegangen. Sie war aus Gewohnheit in die Schule gekommen. Sie war am ersten und am zweiten und am dritten Tag hierhergekommen, und danach hatte sie festgestellt, dass sie nicht nicht kommen konnte. Aber es war Freitag, und am Freitag sollte aus dem Tatort wieder eine Schule werden.
    Fast wäre sie wieder gegangen, aber sie hatte so lange gezögert, dass der Direktor sie entdeckt hatte. Sie überlegte, ob sie sein Rufen einfach ignorieren sollte, so tun, als hätte sie es nicht gehört, aber er kam schnellen Schrittes aus der Aula auf sie zu; es war zu spät, um sich wegzudrehen.
    »Detective.« Seine Stimme ließ sie erstarren. Sekunden später war er bei ihr.
    »Mr. Travis.«
    »Detective.« Sein Lächeln war nicht überzeugend. Ebenso schlecht saß sein Polohemd – der Versuch eleganter Lässigkeit eines Mannes, der sich in zwangloser Kleidung einfach nicht wohl fühlte. Kragen und Ärmel waren gebügelt, und es war bis obenhin zugeknöpft.
    »Ich wollte gerade gehen«, sagte Lucia.
    »Und ich dachte, Sie wären erst gekommen«, erwiderte der Direktor. »Ich habe Sie vom Fenster aus gesehen, als Sie über den Hof kamen.«
    »Ich hatte vergessen, welcher Tag heute ist. Ich hatte nicht daran gedacht, dass Freitag ist.«
    »Das hätte ich um ein Haar selbst vergessen. Es ist, als hätten die Ferien bereits begonnen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was sich zwischenzeitlich getan hat.«
    »Wirklich, ich …«, begann Lucia, aber Travis marschierte schon in Richtung Aula. Sie folgte ihm.
    »Sie hatten viel zu tun, Detective.« Der Direktor drehte beim Sprechen das Kinn zur Schulter, sah Lucia aber nicht direkt an.
    »Sie sicher auch.«
    Travis nickte. Er wandte sich von ihr ab. »Ich frage mich, was Sie wohl entdeckt haben.«
    Lucia musterte den Hinterkopf des Direktors und folgte der Linie seines langen Halses bis zur Abwärtskurve seiner schmalen Schultern. Sie bemerkte die überschüssige Haut an seinen Ellbogen, die gerade so unter den Ärmeln des Polohemds hervorschauten, und ihr fiel auf, dass diese schlaffen Hautlappen ebenso grau waren wie sein Haar.
    »Nicht so viel, wie ich mir gewünscht hätte«, antwortete Lucia. Am Eingang zur Aula blieben sie stehen. »Mehr, als Sie vielleicht vermuten.«
    »Nach Ihnen, Detective.«
    Lucia versuchte, an dem Direktor vorbeizuschlüpfen, ohne ihn zu berühren, aber sie streifte seinen ausgestreckten Arm.
    »Ihnen ist doch nicht etwa kalt?«, fragte Travis. »Man kann sich kaum noch erinnern, wie es ist, wenn man friert, finden Sie nicht auch?«
    Die Aula war bereits geräumt, gereinigt. Die Möbel, die sie über den frisch gebohnerten Boden hatte schrappen hören, waren andere als die Stühle, die sie aus diesem Raum kannte. Die Pulte, die die Arbeiter in Reihen aufstellten, waren so konstruiert, dass sie gleichzeitig als Sitz dienten. Obwohl sie auf den ersten Blick nicht aussahen, als wären sie stapelbar, standen sie in Türmen von je zehn im hinteren Teil der Aula, aber ihre Zahl verringerte sich ständig, denn um sie herum standen Arbeiter, nahmen je drei Pulte auf einmal herunter und trugen sie auf die andere Seite des Raums.
    »Die Prüfungen«, sagte Travis. »Wir sind schon zwei Wochen in

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