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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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hinterherlaufen, konnte es sich aber nicht verkneifen, noch einmal Samuel anzuschauen, bevor er ging. Ich gucke nicht oft Western, die sind nicht so mein Fall, aber mein Mann steht drauf, und da gibt es ja immer diese typischen Einstellungen, so diese Großaufnahmen. Samuel und TJ , wie sie beide die Augen zu Schlitzen verengen, das hat mich ein bisschen daran erinnert. An diese Szenen gegen Ende, vor der großen Schießerei, vor dem Showdown, wenn hier der Gute steht und da der Böse und die Kamera richtig nah ranzoomt, so dass man ihre Augen sehen kann. Total abgedroschen, diese Szenen, aber daran hat mich das in dem Moment erinnert.
    Von da an hat TJ Maggie jedes Mal, wenn Samuel dabei war, einen Klaps auf den Hintern gegeben. Das ging so weit, dass Maggie irgendwann immer
     erst aufstand, wenn TJ schon stand, auch wenn er sie dann trotzdem meist noch irgendwie erwischte. Sie hat dann geschimpft, ihn angefaucht, er solle das lassen, aber danach war es für TJ ein Spiel, ein Wettstreit, wissen Sie, und bei so was muss er immer gewinnen. Und er hat gewonnen. Wenn man in diesen Momenten Samuels Gesicht beobachtete, sah man genau, dass es für ihn jedes Mal wie eine neue Niederlage war. Er hat sich nichts anmerken lassen, äußerlich, aber genau darauf will ich ja gerade hinaus. TJ hat ihn verspottet, und er glaubte, auch Maggie würde ihn verspotten, und irgendwann konnte er sich das nicht mehr gefallen lassen. Ich will ja gar nicht abstreiten, dass die Sache mit Donovan nicht auch eine gewisse Rolle gespielt hat, also, das war schon hart für Samuel, die ganze Situation, doch das mit den Schülern, das war nur der Auslöser. Er hat Donovan erschossen, aber nur nebenbei, auf dem Weg zur Bühne. In Wirklichkeit hatte er es auf TJ abgesehen. TJ oder Maggie. Wie auch immer, Sie verstehen, was ich sagen will. Samuel liebte, wurde betrogen und konnte es nicht mehr ertragen. Das ist die älteste Geschichte überhaupt.

M ir reicht’s.«
    »Lucia.«
    »Mein Entschluss steht fest.«
    »Lucia.«
    »Ich meine es ernst, Philip. Ich hätte da gar nicht erst anfangen sollen.«
    »Dann hätten wir uns nie kennengelernt. Was bedeutet hätte, du und Nabokow, ihr wärt einander nie begegnet. Und das hätte bedeutet, du würdest immer noch Krimis lesen. Polizeiromane. Whodunits.«
    »Ich lese immer noch Krimis.«
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Doch. Ich lese Ian Rankin, Patricia Cornwell und Colin Dexter, und ich habe sogar
Sakrileg
gelesen.«
    »Lucia!«
    »Und es hat mir Spaß gemacht.«
    Philip fasste Lucia am Ellbogen und führte sie Richtung Straßenrand. »Sprich wenigstens leise, wenn du schon so etwas sagst.« Er deutete mit dem Kopf zu dem Gebäude, an dem sie vorübergingen. »Einige Leute darin kennen mich.«
    Lucia las das Schild. »Man kennt dich bei Sotheby’s?«
    »Na ja, nein. Ich bin Rechtsanwalt, kein Ölmagnat. Aber die Wachmänner haben mich hier herumschleichen sehen, und mir wäre es lieber, sie fänden ihre Verdächtigungen meiner Person nicht bestätigt.« Er deutete mit dem Kinn nach rechts. »Hier entlang.«
    Sie gingen weiter bis zur Bond Street. Kaum waren sie dort angelangt, blieb Philip stehen. Lucia war schon zwei Schritte weiter
     gegangen. Als sie merkte, dass ihr Begleiter nicht mehr an ihrer Seite war, drehte sie sich um.
    »Was ist los? Wo guckst du hin?«
    »Sieh mal, der Anzug.«
    »Ah.« Lucia trat ein Stück näher. »Ja, der ist schön.«
    »Nicht der. Der blaue da.«
    »Auch schön.«
    »Der ist nicht schön, Lucia. Sieh dir den Schnitt an. Den Stoff. Und beachte die Ziernaht an den Ärmelaufschlägen.«
    »Warum? Was ist damit nicht in Ordnung?«
    »Nichts. Er ist exquisit. So ein Stück als schön zu bezeichnen, ist genauso, als würde man den Millennium Star einen Glitzerstein nennen.«
    »Das ist ein Anzug, Philip. Den trägt man bei der Arbeit.«
    Kopfschüttelnd wandte sich Philip von dem Schaufenster ab. »Da haben wir’s«, sagte er. »Genau das passiert, wenn man der Literatur entsagt und sich Don Brown auf den Nachttisch legt. Das Vokabular schrumpft zusammen, und die Geschmacksknospen verkümmern.«
    »Dan. Dan, nicht Don.«
    Philip wedelte mit der Hand, als hafte dem Namen ein übler Geruch an. »Gibt es irgendetwas, was du mir nicht erzählt hast, Lucia?«
    »Nein, was denn? Was meinst du?«
    »Was ist vorgefallen? Warum redest du auf einmal von Kündigung?«
    Lucia blieb stehen, weil ein von Kopf bis Fuß in Burberry gekleideter Japaner seine Frau fotografieren wollte, die

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