Ein toter Lehrer / Roman
dass du recht hattest.«
»Es ist verletzend, so etwas zu sagen, Lucia. Außerdem hatte ich nicht recht. Ich habe dir geraten, dein Gewissen zu ignorieren. Wie kann man damit recht haben?«
Lucia biss sich auf die Lippe, drehte schnell den Kopf weg. Sie spürte eine Träne im Augenwinkel. Bevor sie eine Hand frei machen konnte, um sie wegzuwischen, kullerte sie auch schon hinab zum Mund. Sie fuhr sich mit der Schulter über die Wange, schlüpfte an Philip vorbei und befreite sich aus seinem Griff. Sie setzte sich wieder auf die Bank.
»Was mache ich denn jetzt?«, fragte sie und sah auf ihre Füße. »Was soll ich jetzt tun?«
»Wenn du meinst, ob du kündigen sollst, lautet die Antwort nein. Nicht jetzt. Nicht in dieser Verfassung.« Philip legte eine Hand auf die Armlehne der Bank. »Wenn du meinst, was du in puncto Szajkowski tun sollst … Nun ja.« Er blies Luft durch die Nase. »Ich weiß es nicht, Lucia. Meine ehrliche Antwort ist, ich weiß es nicht.«
Lucia hatte plötzlich das Gefühl, sie müsste lachen, aber das Lachen löste sich als Schluchzen aus ihrer Kehle. Sie presste die Handballen auf die Augen, als wollte sie die Tränen wieder zurückzwingen.
Philip räusperte sich. »Lucia. Das ist jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt. Aber ich – ich muss dir ein kleines Geständnis machen.«
»Was?«
»Bitte nicht böse werden.«
»Was? Warum?«
»Bitte, werd einfach nicht böse, wenn ich dir das jetzt sage.«
»Was hast du getan, Philip?«
»Ich …« Philip hüstelte noch einmal. »Ich habe mit David gesprochen.«
Lucia richtete sich auf. »Du hast
was?
«
»Ich habe deinen Namen nicht erwähnt.«
»Das möchte ich auch nicht hoffen!«
»Er ist auch so darauf gekommen.«
»Mensch, Philip!«
Philip hob abwehrend die Hände. »Es ist nicht mein Fachgebiet, Lucia. Ich habe mit Firmenchefs zu tun. Mit Finanzvorständen. Was weiß ich schon von Strafrecht?«
»Aber Davids Gebiet ist es auch nicht direkt.«
»Doch. So gut wie. Er kam von der Staatsanwaltschaft zu uns. Und in der Kanzlei, wo er jetzt arbeitet, ist er für Zivilprozesse zuständig.«
»Darum geht es nicht, Philip.« Lucia schüttelte den Kopf. Sie spürte ihre Tränen verdunsten, und ihre Wangen brannten. »Du weißt, dass es darum nicht geht.«
»Lucia, bitte. Ich dachte, das würde uns vielleicht weiterbringen. Ich hatte gehofft, David könnte helfen. Du bist zu mir gekommen und hast mich um Rat in Rechtsfragen gebeten, aber da hättest du genauso gut deinen Notar fragen können.«
Lucia sah Philip wütend an und wandte das Gesicht ab. Nach einer Weile sah sie ihm wieder in die Augen. »Was hat er gesagt?«
Philip zuckte schuldbewusst mit den Achseln und presste kurz die Lippen zusammen. »Dasselbe wie ich.«
»Dasselbe wie du.«
»Deshalb hätte ich dir ja auch beinahe gar nichts davon erzählt. Er hat gesagt, so einen Fall habe es noch nicht gegeben. Das Einzige, was in die Richtung gehe, sei ein Fall von vor ein paar Jahren, bei dem ein Schüler eine Schule verklagt hat. Er meinte, selbst wenn er einen Staatsanwalt fände, der den Ehrgeiz habe, sich der Sache anzunehmen, würde es nie zum Prozess kommen. Er hat mich daran erinnert, dass Wahljahr ist.«
»Du klingst genau wie Cole, mein Chef. Ich höre ihn förmlich reden.«
»Ich heiße das ja nicht gut, Lucia. Ich sage dir nur, wie die Dinge stehen.«
Lucia stand auf. Sie wischte sich noch einmal über die Augen und zog ihre Bluse glatt. Dann machte sie einen Schritt an Philip vorbei und sah sich um. »In welche Richtung geht’s zur Tube?«
»Nimm dir ein Taxi. Ich gebe es dir aus.«
Lucia schüttelte den Kopf. »Die Tube ist mir gerade lieber. Tut mir leid, Philip. Du hast jede Menge Arbeit, und ich vergeude deine Zeit. Ich tue nichts als Zeit vergeuden im Moment.«
»Sag doch nicht so was. Bitte, sag nicht so was. Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun.«
»Du hast schon genug getan.« Lucia streifte mit den Lippen seine Wange. »Danke. Du hast getan, was du konntest.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Lucia. Warte. Eine Sache noch. Nichts Wichtiges, aber ich habe versprochen, es zu erwähnen.«
Lucia wartete. Sie wusste, was jetzt kommen würde, und sie wusste, dass sie sauer sein sollte, aber sie war es nicht. »Ich werde nicht mit ihm sprechen, Philip.«
»Nur ein Anruf. Du brauchst ihn ja nicht …«
»Ich werde nicht mit ihm sprechen, Philip.« Sie drehte sich um und ging los. Obwohl sie nicht wusste, ob Philip sie noch hören konnte,
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