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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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irgendetwas an dieser Situation komisch finde, Detective, dann ist es die Absurdität – ja, die Impertinenz Ihrer Behauptungen.«
    »Ich bin keine Ihrer Schülerinnen, Mr. Travis.«
    »Will heißen, Detective?«
    »Will heißen, Sie reden auch bitte nicht mit mir, als wäre ich eine.«
    Wieder lachte der Direktor. »Ich rede mit Ihnen, wie ich es für richtig halte, junge Dame. Mit welchem Recht wollen Sie mir etwas anderes vorschreiben? Woher nehmen Sie die Unverfrorenheit, einfach so in mein Büro zu platzen und mir Unterstellungen zu machen, von denen Sie genau wissen, dass Sie sie nicht beweisen können?«
    »Juristisch gesehen mögen Sie recht haben. Ich habe keine Beweise, jedenfalls keine, die diejenigen zufriedenstellen würden, die über den weiteren Verlauf dieser Sache zu entscheiden haben. Aber nach allem, was ich gehört und gesehen habe, bin ich überzeugt, dass meine angeblichen Unterstellungen die Wahrheit sind.«
    Der Direktor verzog spöttisch das Gesicht. »Sie sollten dem Gerede von Schulkindern und …«, er machte eine Kopfbewegung Richtung Tür, »… Sekretärinnen nicht allzu viel Glauben schenken, Detective. Beide haben bekanntermaßen eine allzu lebhafte Phantasie.«
    Hinter der Tür schepperte es; irgendetwas war umgestoßen worden oder umgefallen, als wäre Janet beim Lauschen entsetzt zurückgewichen und dabei gegen etwas von all dem Schnickschnack gestoßen, den Lucia auf ihrem Schreibtisch gesehen hatte.
    »Ich habe meine eigenen Schlüsse gezogen, Mr. Travis.«
    »So, haben Sie das? Zu schade nur, dass Ihre Vorgesetzten Ihre Ansichten offenbar nicht teilen. Wie haben sie denn reagiert, als Sie ihnen Ihre Theorie dargelegt haben?«
    »Die Akte Szajkowski ist geschlossen, das wissen Sie genau. Und eine Akte Samson wird es wohl nicht geben. Wie Sie bereits sagten, es ist zu schade. Mehr als das: Es ist eine Schande.«
    Der Direktor lächelte, ein süffisantes Lächeln. »Sie nennen es eine Schande. Ich nenne es gesunden Menschenverstand, leider nicht sehr verbreitet bei den Staatsbediensteten dieses Landes.« Er setzte sich wieder und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Warum beschuldigen Sie ausgerechnet mich, Detective? Warum nicht die Kinder, die den kleinen Samson gequält haben? Warum nicht ihre Eltern? Und Szajkowski. Geben Sie mir wirklich mehr Schuld als dem Mann, der das Leben dieser armen Kinder ausgelöscht hat?«
    »Man kann Ihnen eine ganze Menge vorwerfen, Mr. Travis. Die schlichte Tatsache, dass Sie das Geschehene hätten verhindern können, aber nicht verhindert haben. Nicht nur das, Sie waren verpflichtet, etwas zu unternehmen. Sie wussten – Sie wissen –, wie einige hier an dieser Schule schikaniert werden. Sie kennen die Opfer, und Sie kennen die verantwortlichen Schüler und Lehrer.« Lucia ging einen Schritt auf den Schreibtisch des Direktors zu. »Sie sagten einmal zu Samuel Szajkowski, Sie seien allwissend. Genau dieses Wort haben Sie doch benutzt. Sie behaupteten, über alles Bescheid zu wissen, was in diesem Haus vor sich geht. Selbst wenn das hohle Prahlerei gewesen sein sollte, Mr. Travis, Sie sind immer noch Leiter dieser Einrichtung und tragen daher die Verantwortung.«
    Der Direktor gähnte.
    »Langweile ich Sie, Mr. Travis?«
    »Offen gestanden, ja, meine Liebe. Ich finde Ihre Argumente moralistisch und naiv, und Ihr Benehmen finde ich ungehörig und respektlos. Sie lenken mich von Dingen ab, die meine Aufmerksamkeit weit mehr verdienen.«
    Jetzt lachte Lucia. Sie konnte gar nicht mehr aufhören. »Sie alter Narr. Sie wichtigtuerischer alter Narr.«
    »Beleidigungen. Also wirklich, Detective. Es gab eine Zeit, da hätte ich sehr viel mehr von Ihnen erwartet.«
    »Dann haben wir wohl beide versagt, jeder auf seine Art und Weise«, entgegnete Lucia. »Wir beide haben Erwartungen enttäuscht.«
    Travis stand auf. Er trat hinter seinem Schreibtisch vor, ging zu der Tür, durch die Lucia hereingekommen war, und öffnete sie. »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Detective. Ich bedaure, dass Sie vielleicht den Eindruck haben, Sie hätten sie vergeudet. Sie haben sich gewiss noch nicht überlegt, was Sie jetzt tun werden, wo Sie Ihrem Groll einmal Luft gemacht haben.«
    Lucia trat zur Tür hinaus. »Sosehr es mich schmerzt, Mr. Travis, ich werde das Einzige tun, was ich kann. Ich werde dasselbe tun wie Sie, nämlich nichts. Vielleicht schlafe ich etwas ruhiger, das ist alles.«
    Der Direktor lächelte. »Darauf würde ich nicht zählen, meine Liebe.

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