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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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gut. Ich weine nicht mal. Sehen Sie?
    Ich verrate Ihnen was, was ich noch keinem verraten habe: Ich habe nicht geweint. Noch kein einziges Mal, seit Donnie tot ist. Ich weiß auch nicht, warum. Also, es ist schwer, verstehen Sie mich nicht falsch. Und ich weiß, es kommt noch. Das Weinen. Als mein Dad gestorben ist, war es genauso. Ich war erst sieben, aber ich weiß es noch wie gestern. Ich weiß noch, dass ich nicht weinen konnte, aber unbedingt wollte, weil ich mir Sorgen gemacht habe, was die anderen von mir denken, dass sie vielleicht denken, ich hätte meinen Dad nicht liebgehabt, und mir irgendwie die Schuld an seinem Tod geben. Dann hab ich mir Sorgen gemacht, dass es vielleicht wirklich meine Schuld ist, dass er vielleicht noch leben könnte, wenn ich ihn bloß mehr geliebt hätte.
    Erst nach der Beerdigung. Vielleicht zwei oder drei Wochen danach. Ich war mit meiner Mum einkaufen, und dann kamen wir nach Hause, und meine Mum ging mit den ganzen Tüten zur Tür rein, und normalerweise kam dann immer mein Dad aus der Küche oder aus dem Garten oder von oben, nahm ihr die Tüten ab und trug sie rein, und dabei jammerte er die ganze Zeit, wie schwer sie waren und wie viel Geld meine Mum ausgegeben haben musste. Aber er kam nicht. Meine Mum machte die Tür auf, und da war nur das leere Haus. Und sie keuchte und schleppte sich mit den Tüten ab, und plötzlich kam es mir wie das Traurigste der Welt vor. Dass mein Dad nicht da war, um ihr die Tüten reinzutragen. Da hab ich geweint. Ich hab geweint und konnte gar nicht mehr aufhören. Meine Mum hat mich einfach nur in den Arm genommen. Sie hat die Einkaufstüten in der Tür stehen lassen, und die Erbsen sind aufgetaut, und die Butter ist geschmolzen, und sie hat mich festgehalten.
    So wird es diesmal wohl auch werden. Außer, na ja, außer dass Mum jetzt nicht da ist. Und Donnie auch nicht. Und obwohl ja Barry da ist, ist er nicht immer im richtigen Moment da, falls Sie wissen, was ich meine. Aber es wird schon gehen. Ich komm zurecht.
    Ich schweife ab. Ich will Sie nicht aufhalten. Ich will bloß sagen: Barry hatte nicht unrecht. Mit dem, was er über Donnie gesagt hat. Viele Leute haben Dinge behauptet, für die es nie Beweise gab. Und Gideon hatte wirklich schlechten Einfluss auf ihn. So viel ist sicher. Bloß … na ja, es war eben so, dass …
    Wissen Sie, Donnie hatte es nicht leicht. Sein Dad hat so seine Erwartungen, seine Regeln. Außerdem ist Barry, na ja, er ist halt nicht immer da, wie gesagt. Er arbeitet, und er hat seine Kumpels, und so ein Mann hat ja auch nicht so viel Zeit, nicht wahr? Besonders manche Männer, ein bestimmter Typ Mann. Ich meine, Windeln wechseln, Gutenachtgeschichten vorlesen, Fußballspielen im Park – das ist einfach nicht seine Welt. Verstehen Sie, was ich sagen will? Donnie hatte es jedenfalls nicht leicht.
    Ich gehe ja arbeiten, wissen Sie, ich bin die meiste Zeit außer Haus. Und Donnie hatte nie einen Bruder. Wir haben auch nie ein Schwesterchen für ihn bekommen. Ich hätte ja gern. Ich hätte so gern ein kleines Mädchen gehabt, oder sogar zwei, zwei kleine Schwestern, die Donnie hätte beschützen können. Aber Barry wollte nicht. Also blieb es bei einem Kind. Und so war Donnie halt die meiste Zeit allein. Und das ist ja nicht immer das Beste für so einen Jungen. Jungs brauchen Beschäftigung, auch die intelligenten. Besonders die intelligenten. Und Donnie war intelligent, genau wie Barry gesagt hat. Aber wissen Sie, was ich glaube? Er hat sich dafür geschämt. Das glaube ich nämlich. Er hat sich geschämt, weil er so intelligent war. Deshalb hat er es versteckt. Entweder das, oder er hat es auf eine Art und Weise gezeigt, die … Na ja. Zu der man ihn nicht ermuntern sollte.
    Das war nämlich das zweite Problem daran, dass wir kaum da waren. So ein Junge braucht Disziplin. Nicht, dass Barry nicht versucht hätte, ihm welche beizubringen. Aber Disziplin ist ja mehr als die harte Hand, nicht wahr? Nicht nur Standpauken und, na ja, alles andere. Zu Disziplin gehört ja noch mehr. Dinge wie … ich weiß nicht. Wie zum Beispiel Führung. Jemand, der einem sagt, wo’s langgeht. Ja, so was. Ich habe es ja manchmal versucht, aber eigentlich sollte das vom Vater kommen, finden Sie nicht auch? Ich will damit nicht sagen, dass es Barrys Schuld ist. Es ist meine Schuld, das weiß ich. Ich weiß nämlich noch, wie Barry war, als Donnie noch kleiner war, als es Ärger mit den Schulen gab und wir ihn andauernd rausnehmen

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