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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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kringelige Haare wie das einzelne, das beinahe entwischt wäre. Sie fielen büschelweise auf Lucias Schreibtisch, auf die Tastatur und in ihren Schoß. Sie klebten an ihren Fingern. Als Lucia zurückwich, fiel der Umschlag auf den Boden, und der restliche Inhalt verteilte sich auf dem Fußbodenbelag, wo er auf dem düsteren Anthrazit kaum noch zu sehen war.
    »Wir haben alle etwas beigesteuert.«
    Lucia spreizte die Finger und streckte sie von sich. Sie pustete, ja spuckte fast auf die Haare, die noch daran klebten. Dann
     sah sie auf.
    »Rob, Charlie und ich. Harry haben wir nicht gefragt, weil wir uns dachten, bei dem wächst noch nichts. Zu süß, der Kleine.«
    Lucia blickte kurz zu Harry hinüber. Als sein Name fiel, hob er den Kopf.
    »Du weißt, was das ist, oder?«
    Walter lehnte jetzt mit beiden Ellbogen auf dem Aktenschrank, der neben Lucias Schreibtisch stand. Rob und Charlie waren aufgestanden und kamen grinsend näher.
    »Lulu. Hörst du mir zu? Ich sagte: Du weißt, was das ist, oder?«
    Lucia schüttelte den Kopf, nicht als Antwort, sondern als Ausdruck ihrer Ungläubigkeit.
    »Wie gesagt, wir haben alle etwas beigesteuert.« Mit einem höhnischen Grinsen wandte sich Walter an sein Publikum. »Wir dachten nur, er fehlt dir vielleicht, nach allem, was passiert ist. Du weißt schon, dein kleiner Freund. Szajkowski.«
    Rob und Charlie kicherten. Lucia blickte noch einmal auf ihre Hände, den Schreibtisch, den Umschlag auf dem Boden. Sie machte den Mund auf und schloss ihn wieder. Sie sah Walter an, aber der schwieg jetzt. Er grinste und wartete.
    »Das ist ja wohl ein Witz«, sagte Lucia schließlich. »Sagt mir, dass das ein Witz ist, verdammt.«
    Rob und Charlie lachten.
    »Gefällt es dir etwa nicht?«, fragte Walter mit gespielter Kränkung. »Ich war mir sicher, es gefällt dir.«
    Lucia spürte, wie ihre Miene erstarrte. Sie schluckte, schloss die Augen und versuchte, weniger angewidert auszusehen, weniger widerlich. Doch ihre Gesichtszüge schnappten einfach wieder zurück, als wären sie aus Gummi: Ihre Stirn zog sich in Falten, ihre Nasenlöcher blähten sich auf, und die Lippen spannten sich an und entblößten die Zähne.
    »Hey, Leute. Was ist los?« Harry stand jetzt neben Charlie. Er lächelte, wenn auch vorsichtig.
    Lucia sah ihn an, aber die Antwort kam von Walter. »Nichts, was dich beunruhigen müsste, Harry, mein Freund. Wir haben unserer kleinen Lulu bloß ein Geschenk überreicht, das wir für sie vorbereitet hatten. Sehr dankbar wirkt sie allerdings nicht.«
    Rob und Charlie brachen wieder in schallendes Gelächter aus.
    »Geschenk? Was denn für ein Geschenk? Hey, Lucia, alles klar?«
    Lucia hörte Harrys Worte, aber sie wusste keine Antwort. Sie sah ihn an, dann den Umschlag auf dem Boden und dann wieder Harry. Er ging ein Stück vor und sah dahin, wo Lucia hinsah.
    »Was ist das? Was ist los? Lucia, was ist das? Was ist denn das?«
    Lucia antwortete nicht. Sie sah Walter an.
    Harry drehte sich um. »Walter? Mensch, was ist eigentlich mit dir los?«
    Walter lachte. »Bleib locker, Harry. Wir haben uns bloß einen kleinen Scherz erlaubt. Ein bisschen Spaß muss sein.«
    »Spaß? Das …«, Harry deutete auf den Umschlag und dann auf Lucia, »das versteht ihr unter Spaß?« Er ging einen Schritt auf Walter zu. Walters Miene verhärtete sich.
    »Pass auf, was du sagst, Harry. Bring dich nicht in Schwierigkeiten.«
    »Harry«, sagte Lucia. »Harry, bitte. Es ist egal.«
    »Lucia …«
    »Bitte«, sagte sie noch einmal. »Bitte.«
    Harry schüttelte den Kopf. Wütend funkelte er Walter an.
    »Sei ein guter Junge, Harry. Hör auf Lulu. Mutti weiß am besten, was gut für dich ist.«
    »Walter …«, begann Lucia, aber am anderen Ende des Büros wurde ihr Name gebrüllt.
    »Ist sie schon da? Lucia!«
    Cole stand in seiner Tür, die Hände links und rechts am Türrahmen, und lehnte sich hinaus. »Wo zum Teufel haben Sie denn gesteckt? Kommen Sie mal zu mir!«
    »Chief, ich …«
    »Jetzt sofort, verdammt noch mal.« Cole drehte sich um und verschwand hinter der Trennwand. Lucia blickte kurz zu Harry und wollte zum Büro des Chief Inspector gehen, doch Walter verstellte ihr den Weg. Sie wollte ihm gerade sagen, dass er sich bewegen solle, ihr aus dem Weg gehen, notfalls hätte sie ihn sogar beiseitegeschoben, aber er trat einen Schritt zurück und machte ihr mit einem Kopfnicken und einer schwungvollen Armbewegung Platz. Im Vorbeigehen sah sie, wie er Charlie zuzwinkerte.
    An der Schwelle

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