Ein toter Lehrer / Roman
zu Coles Büro zögerte Lucia. Sie drehte sich um; die Blicke der anderen ruhten immer noch auf ihr. Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich.
»Chief«, sagte sie. Cole stand am Fenster und sah hinaus, eine Hand auf der Hüfte und die andere an der Stirn, wo sie die speckig glänzende Haut massierte. »Sie wollten mich sprechen, Chief.«
»Kommen Sie herein. Nehmen Sie Platz.«
Lucia wollte sich nicht setzen. Sie ging zu dem einzigen Stuhl auf ihrer Seite des Schreibtischs, stellte sich dahinter und legte die Hände um den kühlen Metallrahmen. Sie merkte, dass sie feucht waren, und ließ den Stuhl los, um sie an den Hosenbeinen abzuwischen.
»Sie sind vom Dienst suspendiert, Lucia. Sie sind raus. Packen Sie zusammen, was Sie brauchen, und gehen Sie.«
Lucia schwieg. Vorsichtig nickte sie. Cole stand immer noch mit dem Rücken zu ihr, und um nicht ihn ansehen zu müssen, sah sie auf seinen Schreibtisch. Neben dem Telefon stand eine Tube Colgate. Überall lagen Papierstapel und Schnellhefter, auf denen wie Aknepickel Dutzende pinkfarbener Klebezettelchen leuchteten, ebenso wie auf den wenigen freien Flecken des Schreibtischs. Einige waren unbeschrieben, aber auf den meisten stand eine kurze Notiz, stets zwischen zwei Fragezeichen. Lucia fragte sich, wie es sich wohl auf die Aufklärungsraten im Nordosten Londons auswirken würde, wenn sich die Zettelchen plötzlich lösten. Vielleicht kämen sogar mehr Fälle vor Gericht, statt in einer Atmosphäre der Unentschlossenheit schal zu werden.
»Das war’s, Lucia. Sie wissen, warum. Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen.« Cole drehte sich zu ihr um. Er war unrasiert, stellte Lucia fest. Entweder war er am Morgen spät dran gewesen, oder er hatte sich gescheut, mit dem Rasierer über die Haut unterhalb der Nase und um die Lippen zu gehen, die noch immer von Herpesbläschen übersät war.
»Nein«, erwiderte Lucia. »Sie brauchen mir nicht zu sagen, warum. Aber Sie könnten mir sagen, wer.«
»Wer? Wer was?«
»Wer so ein dicker Freund des Direktors und seiner Sache ist.«
Cole schüttelte den Kopf. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, Lucia: Seien Sie nicht naiv.« Er ging hinter seinen Schreibtisch.
»Kommen Sie schon, Chief. Was kann ich schon damit anfangen, wenn Sie es mir verraten?«
Cole seufzte. Er rieb sich wieder den Kopf. »Warum wollen Sie es dann wissen, Lucia? Warum müssen Sie immer alles wissen?«
Fast hätte Lucia aufgelacht. Fast hätte sie ihren Chef daran erinnert, was ihr Job war – was ihrer beider Job war. Sie verkniff es sich. »Elliot Samsons Vater hat mir erzählt, dass die Schule den Träger wechseln will«, sagte sie stattdessen. »Er sprach von einem Regierungsprogramm, von privaten Investoren und mehr Autonomie. Angeblich ist es eine der ersten Schulen.«
Cole zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts.«
»Ich nehme an, bei so etwas ist eine Menge Geld im Spiel. Eine Menge kommerzieller Interessen.«
»Wahrscheinlich. Möglich. Wer weiß das schon?«
»Und eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft sähe da nicht besonders gut aus, nicht wahr? Es würde höchstwahrscheinlich einige Leute abschrecken, die man nur sehr ungern abschrecken möchte.«
Cole setzte sich. Er nahm einen der Papierstapel von seinem Schreibtisch und schaute unter den Klebezettel, der darauf haftete.
»Oder habe ich zu kompliziert gedacht? Liegt die Lösung näher? Der Superintendent«, sagte Lucia. »Ihr Chef. Er sitzt in der Schulkommission, wie ich gesehen habe.«
Cole sah Lucia an, ohne den Kopf zu heben. »Vorsicht, Lucia.«
»Er ist sicher nicht gerade erpicht darauf, in all das mit hineingezogen zu werden, oder? Es wäre ihm bestimmt lieber, wir lassen Mr. Travis und seine Schule schön in Ruhe.«
Cole legte die Akten beiseite, die er in den Händen hielt. »Dafür, dass Sie es schon bis zu einer Dienstsuspension haben kommen lassen, Detective Inspector May, weigern Sie sich aber ziemlich hartnäckig, jetzt endlich mal den Mund zu halten.«
Lucia funkelte ihn an und verkniff sich die bissige Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Cole atmete aus, in die Stille hinein,
und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Schreibtisch zu.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Lucia schließlich.
»Es wird eine Anhörung geben. Sie werden einen Verweis bekommen. Sie werden vielleicht degradiert, zumindest für einige Zeit. Man wird Ihnen nahelegen, eine Versetzung zu beantragen.«
»Eine Versetzung? Wohin denn?« Lucias Augen
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