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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Wohnzimmertür herein. »Brauchst du Geld? Ist es das?«
    »Nein! Lieber Himmel, nein.«
    »Das ist nämlich kein Problem. Ich meine, ich kann mir denken, dass das schwer ist: mit der Wohnung, so ganz allein. Ich weiß, dass du nicht gerade viel verdienst.«
    »Ich komm zurecht mit der Wohnung«, sagte Lucia, »und mit dem Geld auch«, wobei ihr im selben Moment der Gedanke kam, dass sie womöglich nicht mehr lange zurechtkommen würde. »Ich dachte bloß, keine Ahnung. Dass wir vielleicht zusammen zu Mittag essen könnten.«
    David fummelte an seiner Krawatte herum. Er sah auf. »Zu Mittag essen?«
    Lucia nickte. »Zu Mittag essen. Nur wir beide.« Sofort merkte sie, wie das geklungen haben musste. »Ich meine, du und ich. Nicht zusammen, nur allein. Nicht ›wir beide‹ im Sinne von ›wir zwei‹.« Sie schloss die Augen und winkte ab. »Nur ein Mittagessen«, sagte sie. »Hast du Zeit?«
    »Heute?«
    »Ja, genau.«
    »Nur wir beide?«
    Lucia seufzte. »Du und ich, ja.«
    David nickte. »Okay, ja. Können wir machen. Was hältst du von Ciullo’s? Auf der Charterhouse Street?«
    »Das finde ich. Um eins?«
    »Um eins«, wiederholte David. Er drehte sich um und ging, kam dann aber noch einmal an die Tür. »Und du bist ganz sicher nicht schwanger?«
    »Ich bin nicht schwanger, David. Ich schwör’s.«
    »Und die Sache mit dem Kuss, da bist du dir auch sicher? Nicht mal einen Schmatzer auf die Wange?«
    »Nicht mal das«, sagte Lucia.
     
    Es war dieselbe Wohnung. Die Wände waren immer noch weiß, der Teppich grün. Die Möbel standen, wo sie gestanden hatten, am selben Platz vor denselben Wänden, und sahen nur eine Spur abgenutzter aus als zuvor. Sogar Jane Fonda wohnte noch hier, das Ergebnis eines Kompromisses, den David und Lucia geschlossen hatten, kurz nachdem sie zusammengezogen waren, und den Lucia seither bereut hatte: Lucia bekam ein Vetorecht für jede andere Wand der Wohnung, solange Barbarella nur ihren Platz über dem Kaminsims behalten durfte. Sie ist gerahmt, hatte David argumentiert: Das macht sie zu Kunst. Sie trägt Latex und drückt ihre Brüste zusammen, hatte Lucia gekontert: Das macht sie zu Pornographie.
    Vieles war gleich geblieben, und doch wirkte alles verändert. Zum einen der Geruch. Das Bad zum Beispiel roch nach Reinigungsmitteln und erinnerte Lucia an die Toiletten bei der Arbeit, und in der Küche hing der Geruch von verschütteter und nicht richtig aufgewischter Milch. Im Wohnzimmer stand ein neuer Fernseher. Um neunzig Grad gekippt hätte man ihn auch als Esstisch benutzen können. Und es gab Lautsprecher. Dutzende, wie es schien, in allen möglichen Höhen und Winkeln, und obwohl keiner besonders groß war, hatten sie etwas Bedrohliches, wie Überwachungskameras in einem Aufzug. In den Regalen hatten sich die Plastikhüllen von DVDs, CDs und Videospielen den Platz erobert, den zuvor ihre Bücher eingenommen hatten. Hier und da waren Flaschen: polnischer Wodka, amerikanischer Bourbon und irgendetwas gelbes Italienisches, kunstvoll angeordnet wie Dekostücke. In mehreren Ecken standen Kakteen. Kakteen waren Männerpflanzen, hatte Lucia vor langer Zeit beschlossen: wenig Pflege, mächtig Wirkung.
    Es fühlte sich an, dachte Lucia, als hätte man einen Lieblingspullover wiedergefunden und müsste beim Anziehen feststellen, dass er eigentlich etwas zu eng ist, dass er muffig riecht und dass einem die Farbe nicht so recht steht. Als sie sich zum Aufbruch bereitmachte, war sie erleichtert. Darüber, dass die Begegnung mit David sie nicht wieder in das Gefühlschaos gestürzt hatte, vor dem sie sich gefürchtet hatte. Sie hatte ihn geliebt, und eine Zeitlang hatte sie ihn auch gehasst, aber seit ihrer letzten Begegnung – und fast ohne, dass sie es bewusst wahrgenommen hatte – schienen sich ihre Gefühle für ihn irgendwo zwischen diesen beiden Extremen eingependelt zu haben. Sie waren immer noch unbeständig, immer noch tückisch. Hätte er zum Beispiel nicht lockergelassen und sich zu ihr heruntergebeugt, um ihr einen Abschiedskuss zu geben, hätte sie ihn nicht daran gehindert. Irgendein heimtückischer Reflex hätte sie womöglich sogar dazu gebracht, ihre Lippen ein kleines Stück zu heben. Aber er hatte sie nicht geküsst. Sie hatte ihn nicht gelassen. Das fühlte sich an wie ein Fortschritt. Nicht wie der Sieg, das nicht, aber immerhin ein Fortschritt.
    Sie zog die Tür hinter sich zu, nahm ihre Tasche über die Schulter und ging Richtung Treppenhaus. Sie gestattete sich

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