Ein toter Taucher nimmt kein Gold
Sauerstoffgerät, das nur für zehn Minuten Luft enthielt.
»Du schöner stolzer Engel!« schrie Pascale übers Meer. Sie klammerte sich mit beiden Händen an der Reling fest. Ihr hysterisches Lachen schüttelte ihren Körper wie in Krämpfen. »Verrecke! Hörst du?! Verrecke!«
Die schrägstehende Sonne begann das Meer rötlich zu färben. Die Wolken am Himmel zerfaserten in Streifen.
In weiter Entfernung, nur ein Punkt auf dem Meer, schaukelte ein kleines Motorboot. Zwei Männer, Indio-Mischlinge in bunten Ponchos, standen zwischen den Sitzen und beobachteten durch Ferngläser die Nuestra Señora.
»Jetzt sind sie alle getaucht«, sagte der eine und setzte das Fernglas ab. »Nur die Frau ist noch oben. Die mit den roten Haaren …«
»Señor Santilla hat recht: Es muß dort etwas geben!« Der andere setzte sich und rückte seinen Poncho zurecht. »Wir werden nachsehen, Emanuele. Heute nacht!«
Chagrin, Faerber und Damms pirschten sich von hinten an die Felsspalte heran. Sie kamen aus der Richtung, wo das zweite Wrack lag, auseinandergerissen, von der Strömung zertrümmert, auf dem Meeresboden verteilt über Hunderte von Metern. Sie spürten die starke Strömung, als sie sich, eng beieinander, dicht über dem Sand an den Felsen heranschlichen.
»Da muß es sein!« sagte Chagrin und zeigte nach vorn. »Vorsichtig jetzt!« Er blieb zurück, aber die beiden anderen schwammen munter weiter, als hätten sie Chagrin nicht verstanden. »Hierbleiben!« rief Chagrin. »Hans … Peter … seid ihr verrückt geworden? Zurück!« Die beiden schwammen unbeirrt weiter. Chagrin fluchte, streckte sich und schoß hinter ihnen her. Als er sie eingeholt hatte, machte er zu Faerber ein deutliches Handzeichen. Er tippte sich an die Stirn. Faerber nickte und zeigte auf sein Mikrofon.
»Scheiße!« sagte Chagrin laut. »Auch das noch!« Er begriff, daß der Funkverkehr gestört war und sie sich nur mit Handzeichen verständigen konnten. Peter Damms klammerte sich an einer Steinzacke fest und schien immerfort nach oben zum Boot zu rufen, als könne er so die Störung beheben.
Das verbraucht viel zuviel Luft und Energie, dachte Faerber. Er schwamm zu Damms und winkte mit beiden Händen. Damms verstand und nickte zurück. Dann formierten sie sich wieder und glitten lautlos in die Schlucht. Unter ihnen, in der schräg abfallenden Felswand, mußte die Höhle des Kraken liegen.
Sie setzten sich auf einen Vorsprung und waren sich einig, daß das Abreißen der Verständigung ein großes Handikap bedeutete. Jeder Handgriff, den man sonst besprechen konnte, mußte nun durch Zeichen erklärt werden. Vor allem aber gab es ein Grundproblem: Wer übernahm jetzt die Führung? Wer hatte im richtigen Moment die besten Ideen?
Chagrin stieß den Daumen der rechten Hand nach oben. Auftauchen, hieß das. Abbrechen. Der Krake läuft uns nicht weg. Im Gegenteil. Erst den Mistkasten von Funkgerät reparieren. Einen Tag mehr oder weniger, was spielt das für eine Rolle? Wir sitzen auf Milliarden, Leute. Und keiner drängt uns! Für uns gibt es keine Zeit mehr. Warum also ein Risiko eingehen? Faerber schüttelte den Kopf und zeigte hinunter.
Angriff hieß das. Wer weiß, was morgen ist? Der leichte Sturm heute nacht, kann das nicht ein Vorbote eines Wetterumschlags sein? Was dann? Wenn es blitzt und donnert, wenn das Meer verrückt spielt, wenn wir zurück müssen an Land, in dieses fieberdünstige Sumpfgebiet von Yukatan, in den Mangrovendschungel, der uns alle krank machen wird … Nein! Jetzt! Vor einem Kraken kapitulieren? Mit Pistolen, Harpunen und Sprengstoff in den Händen? Faerber schwamm nahe an Chagrin heran. Durch die großen, ovalen Brillengläser sahen sie sich fragend an. »Jetzt hast du Angst, mein Junge, was?« dachte Faerber laut.
Es war, als könne Chagrin es hören. Er hob beide Schultern. Du bist der Boß! Du bezahlst. Geh voran, du Held … Faerber wandte sich um. Er holte aus der Umhängetasche eine kleine Scheibe Plastiksprengstoff und schloß sie an den dünnen Draht für die elektrische Zündung an. Damms, der den Batterieapparat trug, schwamm heran und schraubte den Draht in den Kontakt ein.
Chagrin übernahm die Sicherung. Er ließ sich langsam tiefer sinken, bis er ungefähr auf gleicher Höhe mit der Höhle des Riesenkraken war. Er zeigte aufgeregt auf den Felsen, anscheinend sah er etwas, einen Arm, eine Bewegung am Höhlenrand. Es war schwierig, das zu unterscheiden; sie hatten die Scheinwerfer ausgeknipst und
Weitere Kostenlose Bücher