Ein toter Taucher nimmt kein Gold
Das Meer zeigte zum erstenmal richtige Wellen, es regnete sogar sehr heftig, und Chagrin und Faerber ließen den Anker fallen, da der Treibanker nicht mehr ausreichte.
Am nächsten Morgen waren Wind und Regen vorüber. Die Sonne hing wieder am wolkenlosen Himmel, es war schon sehr früh heiß und drückend schwül. Nur das Meer bewegte sich noch stärker als bisher. Es gab zwar keine großen Wellen, aber man war eine fast glatte Fläche gewöhnt und sah jetzt, daß sich drüben an der Chinchorro-Bank weiße Schaumkronen bildeten.
Chagrin ging an diesem Morgen allein ins Wasser. »Ich will nur nachsehen, ob sich in der Spalte was verändert hat«, sagte er.
Nach zehn Minuten tauchte er wieder auf, schoß ohne Rücksicht auf den Druckunterschied aus der Tiefe. Er schwamm zur Leiter, kletterte an Bord und ließ sich auf die Planken fallen. Faerber riß ihm das Atemmundstück vom Kopf.
»Das wird einen Kampf geben«, keuchte Chagrin. Er lag da wie ein erstickender Fisch. »In der Felsspalte haust ein Riesenkrake …«
Chagrin brauchte eine halbe Stunde, um sich von dem schnellen Auftauchen zu erholen. Ahnungslos war er in die Gefahr hineingeschwommen. Damms und Faerber trugen ihn unter Deck, wo er mit blauen Lippen und hervorquellenden Augen auf dem Bett lag. Faerber hörte mit einem Stethoskop Renés Lungen und den Herzschlag ab, gab ihm eine Injektion zur Kreislaufstabilisierung und hielt ihm eine Maske mit reinem Sauerstoff vor das verzerrte Gesicht. Dann warteten sie, wie Chagrin reagierte, aber der gefürchtete Kollaps blieb aus. Er atmete tief durch und war schlaff, als habe er Knochen aus weichem Gummi. »Ein Krake ist an sich nichts Gefährliches«, sagte er später. Ellen hatte Tee gekocht, sie saßen unter dem Sonnensegel, und das Meer war so grünblau und still wie in den vergangenen Tagen. Nur um die riesige Chinchorro-Sandbank schäumten noch die Wellen.
»Wir haben schon viele Kraken erlegt – aber der da unten ist ein Prachtexemplar. Der muß mindestens acht Meter groß sein! Mit acht Fangarmen. Plötzlich war er da, stand wie ein Ungeheuer mit hundert zugreifenden Fingern vor mir. Ich konnte mich im letzten Moment herumwerfen und wegschießen. Einer der Fangarme berührte noch meinen Fuß, aber ich war schneller.« Chagrin trat an die Reling, starrte ins Meer und spuckte dann aus. »Du Aas, du verdammtes!« sagte er laut. »Verlaß dich drauf – auch an dir kommen wir vorbei!«
»Wir haben Harpunen und Unterwasserpistolen«, sagte Damms. »Genügt das nicht?«
»Wollen Sie den Burschen kitzeln, Peter?« Chagrin lachte böse. »Um dieses Ungeheuer tödlich zu treffen, müßten Sie nahe genug heran. Aber da sind zehn Arme – wenn er sie ausstreckt, sind Sie fast halb so lang wie unser Schiff. Und wenn er merkt, daß es ernst wird, stößt er seine Tintenwolken aus und nebelt uns völlig ein! Wissen Sie, was wir dann sind? Hilflose, im Wasser herumtorkelnde Idioten ohne Orientierung, die er dann mit seinen Armen zu sich heranzieht. Nein, gefressen werden wir nicht, aber er drückt uns zusammen wie gekochte Kartoffeln! Es gibt nur eine Möglichkeit.«
»Ihn wegsprengen …« Faerber blickte auf seine Zeichnung. Ellens Striche hatte er wieder wegradiert. »Wir haben genug Plastiksprengstoff, um uns den Weg freizudonnern.«
»Mit einem Fingerhut voll kriegen Sie ihn nicht weg, Hans!« Chagrin beugte sich über die Zeichnung. Sein Finger tippte auf die Felswand, etwas oberhalb der Stelle, wo sie die Kanone gefunden hatten. »Hier wohnt er!« Chagrin, Faerber und Damms starrten sich an. Sie dachten alle das gleiche.
»Wir haben mit dem Biest im Rücken gearbeitet!« sagte Damms. Seine Stimme war unsicher. »Er hätte uns von hinten ohne Schwierigkeiten umklammern können.«
»Wir sprengen die ganze Höhle weg!« rief Faerber. »Nichts einfacher als das. Aber wer weiß, wie sich das auf das Wrack auswirkt? Bis jetzt herrschten da unten Ruhe und Ordnung wie im Paradies … jetzt kommen wir und verändern die Landschaft!«
»Wie wollen Sie den Kraken anders bekommen, Chagrin?« Faerber lächelte schief. »Ich kann ihm keine Betäubungsinjektion geben.«
Chagrin blickte wieder aufs Meer. Da unten liegen Milliarden Franc, dachte er. Wären wir hier mit der Ausrüstung moderner, professioneller Schiffsheber, würde man jetzt eine kleine Wasserbombe werfen, den ekelhaften Burschen einfach wegblasen und einen Dreck darauf geben, ob sich der Meeresboden verändert. Mit Sandsaugern würde man das Schiff
Weitere Kostenlose Bücher