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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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mit der herrlichen Vorstellung, daß jemand anders einem die eigene Arbeit voll und ganz abnimmt. Kratz mir meinen Rücken, ich kratz dir deinen Rücken, nicht? Hast du etwas gefunden?«
    »Nicht sehr viel. Ich habe selbstverständlich nach Fußspuren gesucht, aber bei dem Regen war nichts mehr davon zu sehen. Im Kriminalroman hatte es natürlich genau eine Stunde vor dem Verbrechen einmal kräftig geregnet, so daß eine hübsche Fußspur zurückgeblieben wäre, die nur zwischen zwei und drei Uhr früh entstanden sein konnte, aber da wir es im wirklichen Leben mit echtem Londoner Novemberwetter zu tun haben, könnte man ebensogut Fußspuren auf dem Niagarafall erwarten. Ich habe die ganzen Dächer abgesucht und bin zu dem erfreulichen Schluß gekommen, daß jeder Bewohner aus jeder dieser hübschen Wohnungen in der ganzen hübschen Häuserreihe es gewesen sein könnte. Sämtliche Treppen führen aufs Dach, das ganz flach ist; man kann darauf spazierengehen wie auf der Shaftesbury Avenue. Immerhin habe ich ein Indiz dafür gefunden, daß die Leiche tatsächlich da entlangspaziert ist.«
    »Welcher Art?«
    Parker zückte sein Notizbuch und entnahm ihm ein paar Stoffäden, die er vor seinen Freund hinlegte.
    »Einer davon war in der Dachrinne direkt über Thipps' Badezimmerfenster hängengeblieben, ein anderer in einer Ritze in der steinernen Brüstung oberhalb davon, und die übrigen stammen vom Schornsteinkasten darüber, wo sie sich an einer eisernen Runge verfangen hatten. Was hältst du davon?«
    Lord Peter betrachtete sie eingehend mit der Lupe. »Interessant«, sagte er, »hochinteressant. Haben Sie die Bilder schon entwickelt, Bunter?« fuhr er fort, als der diskrete Diener mit der Post hereinkam.
    »Ja, Mylord.«
    »Etwas darauf?«
    »Ich weiß nicht, ob ich es >etwas< nennen soll oder nicht, Mylord«, antwortete Bunter skeptisch. »Ich werde Ihnen die Abzüge bringen.«
    »Bitte, ja«, sagte Wimsey. »Hallo! Hier ist unsere Anzeige wegen des goldenen Kettchens in der  Times -  sieht sehr hübsch aus: >Melden Sie sich persönlich, schriftlich oder telefonisch im Piccadilly 110 A.< Vielleicht wäre ein Postfach sicherer gewesen, obwohl ich ja immer finde, je ehrlicher man zu den Leuten ist, desto leichter kann man sie täuschen; so ungewohnt sind der modernen Welt die offene Hand und das arglose Herz.«
    »Aber du wirst doch nicht annehmen, daß der Kerl, der dieses Kettchen bei der Leiche gelassen hat, sich selbst verrät, indem er herkommt und danach fragt!«
    »Natürlich nicht, du Dummkopf«, erwiderte Lord Peter mit der lässigen Liebenswürdigkeit der wahren Aristokratie, »darum versuche ich ja auch den Juwelier zu finden, der es verkauft hat. Siehst du?« Er zeigte auf den entsprechenden Absatz. »Es ist keine alte Kette - kaum getragen. Oh, danke, Bunter. Nun sieh mal her, Parker, das sind die Fingerabdrücke, die du gestern am Fensterrahmen und auf dem hinteren Wannenrand entdeckt hast. Die hatte ich übersehen. Ich gestehe dir das volle Verdienst an dieser Entdeckung zu; ich krieche vor dir im Staub, mein Name ist Watson, und du brauchst gar nicht auszusprechen, was du gerade sagen wolltest, denn ich gestehe alles. Und nun werden wir - hallo, hallo!«
    Die drei Männer starrten die Photos an. »Der Verbrecher«, sagte Lord Peter bitter, »ist bei Nässe über die Dächer gestiegen und hat, was nicht unnatürlich ist, dabei Ruß an die Finger bekommen. Er hat die Leiche in die Wanne gelegt und alle seine eigenen Spuren beseitigt, bis auf diese beiden, die er freundlicherweise hinterlassen hat, um uns zu zeigen, wie wir vorzugehen haben. Wir ersehen aus dem Fleck auf dem Fußboden, daß er Schuhe mit Kreppgummisohlen trug, und aus den herrlichen Fingerabdrücken auf dem Badewannenrand, daß er die üblichen fünf Finger hatte und Gummihandschuhe trug. So einer ist das. Schafft das Narrengesicht weg, Leute.«
    Er legte die Bilder fort und wandte sich wieder der Prüfung der Textilfetzen zu, die er noch in der Hand hielt. Plötzlich stieß er einen leisen Pfiff aus. »Kannst du etwas damit anfangen, Parker?«
    »Mir kommen sie vor wie ausgezupfte Fäden von einem groben Baumwollstoff - einem Bettlaken vielleicht, oder einem improvisierten Seil.«
    »Ja«, sagte Lord Peter, »ja. Es könnte ein Fehler sein -  unser  Fehler. Das überlege ich gerade. Sag mal, meinst du, diese kleinen Fädchen wären lang und stark genug, um einen Mann aufzuhängen?«
    Er verstummte, und seine Augen verengten sich hinter
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