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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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Schrecksekunde blickte ich unvorsichtigerweise nach draußen und war kurz davor, über das Kuckucksnest zu fliegen. Da war kein Hubschrauber mehr, keine Menschenansammlung, kein Sprungtuch und, das hatte sich total meiner Aufmerksamkeit entzogen, die Sprinkler in meinem Zimmer waren aus und tropften nicht mal mehr.
    Als ich mich wieder umdrehte, war Rademann verschwunden, aber er hatte mir unbemerkt was dagelassen: seine Stulle. Sie lag unmittelbar zu meinen Füßen.
    Erleichtert und entsetzt zugleich atmete ich einmal tief durch, machte einen Schritt in den Raum, trat mittig auf die fettige Scheibe, rutschte aus und kippte nach hinten weg. Strauchelnd fuhrwerkte ich nach Halt suchend mit den Händen rum, griff um mich, boxte regelrecht Löcher in die Luft, aber es war zu spät. Mit einer Scherbe in der Hand, die ich als Einziges zu fassen bekommen hatte und die sich wie ein Pfeil durch meine Handinnenfläche bohrte, aus der sich spritzend nun mein Blut ergoss, fiel ich, vielleicht eine Armlänge vom Hochhaus entfernt, in Richtung Hotelvorplatz hinab und schrie das, was alle schreien, die so etwas so oder so ähnlich schon mal erlebt haben:
     
    » NEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN !!!!!!!«
     
    Wow. Schwerkraft.
    Ich klatschte auf. Es tat gar nicht weh. Geradezu weich war ich gefallen. Auf dem Bauch war ich gelandet und hatte Angst, an mir runterzugucken. Ich tat es dennoch und sah einen nackten, unversehrten Körper und unter ihm einen reich verzierten Teppich mit mir unbekannten Schriftzeichen. Wo war ich? Ich schrägte den Kopf ein wenig an und meinte … – das konnte nicht wahr sein! –, noch etwas weiter bewegte ich mich herum, bis ich mich um 180 Grad gedreht hatte, und da sah ich, doch, es war wahr, die Buchstaben »M« und »S« und dahinter den Namen meines Geburtslandes. Ich war auf dem Traumschiff.
    Leicht hob ich den Kopf, so weit, wie mein schmerzender, steifer Nacken das zuließ, und sah im Fernseher Jack Baur in
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herumlaufen, durch Scheiben springen und mit Hubschraubern fliegen und Leute anschreien. Ich war nicht auf dem Traumschiff. Sondern immer noch im Hotel.
    Nie, niemals mehr wieder wollte ich nach einem 15-Stunden-Flug mit einer Actionserie zu Bett gehen.

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    Montag, 4. Januar
auf ihr
    Da bin ich nun. Eben noch im Flieger und zack! auf dem Schiff. Hat doch gar nicht wehgetan. Weher tut auf jeden Fall das Ziehen einer Wurzel ohne Betäubung. Und gemerkt hab ich’s auch kaum. Regelrecht verschlafen habe ich den großen Augenblick des Betretens dieser schwimmenden Kulisse, so müde und fertig war ich. Man hätte mich mit den Füßen zuerst an Bord bringen können, und ich hätte es nicht mitgekriegt.
    Was ich noch weiß oder zumindest diffus hinter dem Schleier meiner komatösen ersten Albtraumnacht zu erinnern glaube, ist, dass ich ein bisschen enttäuscht war, als ich vor dem Schiff stand. Ich hatte es mir größer vorgestellt, aber das hat es mit Dustin Hoffman, Robert de Niro und Robert Redford gemein, wie die Tatsache, dass es sich bei allen vieren um Auslaufmodelle handelt.
    Auch diesen Dampfer haben die Fernsehkameras bislang auf eine Weise in Szene gesetzt, dass man denken musste, er sei doppelt so hoch und doppelt so breit. Es ist eben alles eine Frage des p.o.v., des »point of view«, und eine Kamera, die deutlich unterhalb des zu filmenden Objektes steht, verzerrt die Wirklichkeit dergestalt, dass es machtvoll, potent und würdig aussieht, und genau das ist die Lieblings-p.o.v. in dieser Serie, in der es ja ausschließlich um die Verzerrung von Wirklichkeit geht. Wie jeder Mensch eine Perspektive, und zwar die richtige, braucht, so verhält es sich auch mit diesem Pott, der letztlich nur eine stählerne Diva mit ungeheuren Maßen ist. Um ihren schlanken Körper trägt sie ein rotes Band, das ihren wohlgeformten Proportionen noch mehr Üppigkeit verleiht. Sie ist von vorne wie von hinten eine Augenweide, die den Vergleich mit Gleichaltrigen und sogar Jüngeren nicht scheuen muss, und erstklassig ausgestattet.
    Wenn sie ablegt, und zwar komplett, greifen die Frauen zum Taschentuch, während die Männer zu strahlen anfangen; so manch einer würde sicher gerne mal an ihr rumschrauben, allerdings ist sie nicht leicht zu erobern und wenn, dann ist es eher sie, die einen abschleppt. Zuweilen wird sie deswegen auch despektierlich als Fregatte bezeichnet, was ihr aber zu Recht am Heck vorbeigeht. Wenn sie sich bewegt, ist es eher ein Gleiten, und ohne jede Arroganz, sich

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