Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
ihrer Selbst aber sehr wohl bewusst, hat sie sich den eigenen Namen auf ihren Bauch schreiben lassen.
Geradezu bullig sind ihre Augen und gewähren einem tiefe Einblicke. Überhaupt ist sie bestens in Schuss, trotz der Brücke, die sie trägt, und für ihr Alter hat sie noch ganz schön Auftrieb. Nach oben hin verjüngt sie sich und hat ständig alle Antennen ausgefahren: sehr aufmerksam ist sie, sie peilt alles, und wen sie einmal auf dem Schirm hat, den übersieht sie so schnell nicht mehr, wobei jeder gut daran tut, ihr auszuweichen. Sie ist schon eine Flotte! Über die zwei Laster, die sie hat, lässt sich geflissentlich hinwegsehen: Sie qualmt wie ein Schlot und hat ständig eine Fahne. Darüber lässt sich vor allem vor dem Hintergrund hinwegsehen, dass sie, wie kaum eine andere, im internationalen, gefährlichen Fahrwasser zu Hause ist und den Beweis dafür schon sehr, sehr früh erbracht hat, nämlich noch als Jungfer auf ihrer Fahrt nach Skandinavien, dessen sprödem Nordvolk sie vor Verzückung das Wasser in die Augen trieb.
Spätestens seit dieser Zeit ist sie einer der meistfotografierten Stars ihrer Zunft, eine Zunft, in der nicht wenige bereits nach kürzester Zeit sang- und klanglos untergehen – entweder weil sie sich schlicht zu viel aufgeladen haben oder weil sie sich genau einmal zu vehement haben volllaufen lassen. Die Branche ist in diesen Momenten gnadenlos, und viele der eben noch Gehypten enden nur allzu oft als Wracks, nachdem man sie ausgeschlachtet hat. Maximal Vertreter der Finanzbranche sind es dann noch, die sich für sie interessieren, doch auch die schreiben sie meistens sehr schnell ab. Der einen oder anderen wird zuweilen versucht, mit einem Face-Lifting auf die Sprünge zu helfen, nur selten aber gelingt es den dann meistens schon recht Abgetakelten, die Fahrt wieder aufzunehmen, zu hart ist das Geschäft, zu groß die Konkurrenz durch diejenigen, die sich zu Dumpingpreisen geradezu prostituieren, meist aus dem südostasiatischen Raum kommen und für alles und jeden sofort Flagge zeigen.
Dies alles sind aber für sie zum jetzigen Zeitpunkt noch überhaupt keine Gefahren, zu sehr ist sie mit allen Wassern gewaschen, geradezu abgebrüht, zu eisern trotzt die Lady bislang den größten Wechselbädern ihrer Karriere, auch wenn ihr der Gegenwind manchmal doch sehr heftig ins Gesicht weht. Viele haben beispielsweise Angst, dass sie auch noch sinkt, so wie es die eine oder andere vor ihr bereits getan hat. Dafür ist sie aber viel zu vorsichtig, und sollte sie mal lecken – und dies in aller Öffentlichkeit –, so wird man sich eher Sorgen um sie machen, als sie zu verhöhnen, und ihr wünschen, dass sie bald wieder außerhalb der Presse Wellen schlägt.
Sie macht einfach was her mit ihren 175 m Länge und den 23 m Breite, die dennoch den nötigen Tiefgang nicht vermissen lassen – über 5 m. Kein Geringerer als Richard von Weizsäcker taufte sie seinerzeit auf ihren Namen, und dem Alt-Bundespräsidenten war damals anzusehen, wie gern er sie vollspritzte.
Alle kann sie haben, nicht jeden lässt sie ran und doch ist die Zahl derer, die sie in sich aufgenommen hat, unüberschaubar hoch, Platz genug hat sie. Wie alles, ist auch dies eine Frage des Geldes. Sie steht nach wie vor im Saft, wird gut gebucht, und die Anfragen reißen nicht ab. Es ist ein ständiges Kommen, bislang ist aber auch jeder wieder gegangen, wenn auch mit verklärten Augen und einem ganz neuen, nämlich geweiteten Horizont.
Endgültig in den Hafen einkehren, um dort dann vor Anker zu gehen, wird sie noch lange nicht, zu umtriebig ist sie, zu wechselhaft, zu weitgereist. Ich hätte sie gern zur Freundin, denn sie ist keine für eine Nacht. Ich denke aber, es wird eher auf eine Affäre rauslaufen. Auf jeden Fall habe ich plötzlich Lust auf sie.
7
Dienstag, 5. Januar, 10.17 Uhr
Gestern Abend war warm up, das heißt, alle Teammitglieder und Schauspieler wurden einander vorgestellt. Wie immer auf solchen Veranstaltungen, stellen alle gemeinsam sehr schnell fest, dass man sich nichts zu sagen hat. Die Menschendarsteller stehen in eigenen Ecken zusammen, und dass sie zu der jeweiligen Gruppe gehören, wird spätestens mit Blick auf deren weiblichen Angehörigen klar. Hechelnd scannen deren sich unentwegt bewegende, stark geschminkte, gern auch mit Sonnenbrille bedeckte, Augen einander ab, schätzen Größen, vermessen Falten, berechnen Körbchen, vergleichen Hintern, bewundern Verhasstes und zeigen frisch
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