Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
Glück ist nur ein Bruchteil davon auf diesem Kahn.
Wenn man weiß, dass dieser über einen komplett ausgestatteten Operationssaal inklusive modernster Dialysestation verfügt und über einen Spa-Bereich, der den Vergleich mit seinen Brüdern in Luxushotels auf dem deutschen Festland nicht scheuen muss, und in dem vor allem Lymphdrainagen, Orangenhautpackungen und Verjüngungsmasken mit Botox to go angeboten werden, würde man sich nicht wundern, wenn zumindest einer der vielen Ruheräume in Sekundenschnelle zu einem Sterbezimmer umfunktioniert werden könnte. Von Seebestattungen wird zwar aufgrund internationaler Abkommen Abstand genommen, der ewig qualmende Schornstein des Schiffes lässt der Phantasie aber genug Raum, wie man das geltende Recht umschiffen könnte.
Und tatsächlich weiß meine Maskenbildnerin, die sich selbst am schlechtesten schminkt, von »Nahtoderfahrungen« zu berichten. Sie wirkt auf mich, als sei sie schon länger dabei als das Traumschiff alt ist, und ist somit geradezu ein anekdotischer Geysir. So weiß sie zum Beispiel, dass es unten im Schiff, gleich neben der Stelle, wo das »Make up« seine Kajüte gefunden hat – ein Raum wie ein Loch: zugig, dunkel und selbst von Ratten gemieden –, eine Kühlkammer gibt, in der auf hoher See Verblichene zwischengelagert werden.
Das weiß sie jetzt.
Es gab aber eine Zeit, wo Neugier größer war als Wissen, und sie auf der Suche nach Stauraum alle nur denkbaren Türen öffnete, darunter auch jene. Zunächst meinte sie, einen der älteren Stammensemble-Schauspieler zu erkennen und sagte einfach nur: »Hallo! Kommst du bitte zum Haareschneiden?!«, bis sie verstand, warum er ihr gegenüber so frostig reagierte. Ihre eigene Reaktion fiel deutlich lauter aus, auch wenn sie sich auf einen einzigen Vokal beschränkte, und seit diesem Zeitpunkt muss immer eines der Crewmitglieder an ihrer Seite sein und sie beschützen.
Vor wem – ich weiß es nicht.
Lese zuweilen in deutschen Zeitungen oder im Netz, wie sehr Väterchen Frost die Heimat im Griff hat. Muss dann schmunzeln; hier von Anfang an beständig 21 Grad bei stetem kühlen Wind: Aircondition. Überall.
Daher auch mein leichter Schnupfen.
Da mir mein Mittelohr heilig ist, hab ich nun endlich mal ein Frotteehandtuch in die Schlitze meiner Klimaanlage gesteckt, um die Brise zumindest von meinem Gesicht abzulenken. Hoffentlich wird es nicht von meiner philippinischen Reinemachefrau entfernt und wenn doch, rätsele ich schon eine Weile, wie ich ihr die Notwendigkeit dieser Maßnahme verständlich machen soll, ist sie doch weder des Deutschen noch des Englischen mächtig. Bin im Geiste schon die verschiedensten Choreographien durchgegangen, um ihr gegebenenfalls die Gründe meines Handelns vorzutanzen.
Sobald man auf eines der Decks fährt – hier gibt es mehr Fahrstühle als Rollstühle und das soll was heißen – umgeben einen kuschelige 28 Grad; wenn ein Regen geht, ausgelöst durch eine »intertropische Konvergenz« (O-Ton Brücke), fühlt sich die Temperatur auch schon mal wie 35 Grad an und man wünscht sich jemanden, der einen Aufguss macht. Wenn man Lust hat, mal so richtig ins Schwitzen zu kommen, hat man die Wahl zwischen der stets aufgeheizten bordeigenen Sauna oder einer Behandlung durch den stets angetrunkenen bordeigenen Schiffsarzt. Die Vorstellung, dass er mir aus welchen Gründen auch immer Blut abnehmen muss, wird nur getoppt von der Vision, mit fünf saarländischen Trümmerfrauen zusammen in der winzigen Sauna zu hocken, deren Ausgang versperrt ist, weil dort ihre diversen abgeschraubten Körperteile lehnen. Wenn es nicht realistische 1:1-Kopien echter Extremitäten sind, könnte es auch ein Fuhrpark von Rollatoren sein, die sich für fünfzehn Minuten vor der Schwitzhütte postiert haben.
Hab mich schon einige Male gefragt, wo in den schmalen Gängen der Decks die schwarzen Schleifspuren herkommen, die man vereinzelt an den Wänden sieht. Eindeutig, der gemeine Rollatornutzer wird ab Windstärke 4 über Bande gespielt, wie ein Puck mit Gebiss.
Gerade hat die bestimmt polnische blonde Pianistin »Strangers in the night« zu Ende gespielt, und die eine oder andere gichtige Hand verirrt sich tatsächlich und lässt sich zu einem Applaus hinreißen – kaum hörbar, da sich die Handflächen nicht mehr berühren können.
Der Ursprung des Kreuzfahrens liegt ja in der Vorstellung, auf dem kürzesten Seeweg die reizvollsten Küstenstädte zu erreichen. Bei
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