Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
erdulde und mir denke, dass die Schmerzen des Pilgers, der auf den Knien in das andere Santiago rutscht, nicht größer, nur woanders sind.
Während ich mich so richtig in der Pose des Leidenden einzurichten beginne, zieht draußen die Schönheit der Natur vorbei: welch ein Genuss! Wegen einer Karambolage auf der eigentlichen Autobahn musste unser Personentransporter die alte Passstraße nehmen, und zum ersten Mal bin ich froh, dass es Staus gibt.
Ich fahre durch die Anden! Die Wucht und Erhabenheit dieser längsten Gebirgskette der Welt lassen einen rasch vergessen, dass man grad im langsamsten Bus der Welt unterwegs ist. Was bekomme ich alles zu sehen! Ganze Terrassen von Kakao- und Bananenplantagen, Kaffee, Tabak und Mais zum Greifen nah, wir müssen bereits eine beachtliche Höhe erreicht haben, Kamele sowie Alpakas kann ich beobachten, die phantastische Aussicht auf einen funkelnden Stausee genießen, freundliche Menschen winken einem zu, die mit Sicherheit nicht
mich
meinen, sondern wohl eher den einen oder anderen Bekannten hinter den Scheiben vermuten, die mit 30 km/h an ihnen vorbeijökeln, Scheiben, die einen mittlerweile einladen, das Augenmerk doch lieber wieder ins Innere zu richten, so verschmiert wie sie nach kürzester Zeit aussehen. Eine schleimig-grüne Flüssigkeit trieft außen das Glas herunter, die sich in unterschiedlich breiten Rinnsalen über die rechte Seite des Busses ergießt, die Seite, von der aus uns zugewunken wurde. Entweder hat eine als chilenische Hochlandbauern getarnte extraterristrische Spezies am Straßenrand die Hand gegen uns erhoben, weil wir aus Versehen deren Angehörige überfahren haben, oder aber es waren hiesige Kameltreiber, die mit ihren Herden einen Spaziergang unternommen haben.
Ich wage einen letzten verschwommenen Blick und einige mich mit mir auf die zweite Variante, zumal ich jetzt sehe, dass die Kamele tatsächlich Lamas sind, und die haben uns anscheinend auf ihre ganz eigene Weise begrüßt. Die Gelassenheit, mit der alle Busfahrer diese Bespuckung zur Kenntnis nehmen, ist markant. Allem Anschein nach ist das nichts Ungewöhnliches. Zum Glück ist das aber in dieser Gegend kein Gruß, der üblicherweise erwidert wird.
Die rechte Seite ist nun also für Sightseeing nicht mehr wirklich geeignet, und die linke ist versperrt durch herumstehende Fahrgäste, die nach wie vor das Nicht-Schwitzen dem Verkrampft-Sitzen vorziehen. Zeit für mich. Ich hole mein iPhone heraus, um zu gucken, ob es mir etwas mitzuteilen hat, und, tatsächlich, es hat. Eine mir unbekannte Nummer hat mir eine SMS geschickt, die ich natürlich sofort neugierig öffne.
Wir sollten uns vertragen und blöd zu sein vertagen. C
Wer ist C? Hab ich mich in einem Anfall von Verstrahltheit selber angesmst? Habe ich was mit mir zu klären? Warum sag ich mir das nicht direkt, sondern warte darauf, in den Anden abhandengekommen zu sein? Noch bevor ich auf den dummen Gedanken kommen kann, ich hätte eventuell eine gespaltene Persönlichkeit, schießt mir eine realistischere Idee ein. So prägnant und stets in Versen schreibt nur eine einzige Person, die ich kenne, schon mal besser kannte, und mit der ich jetzt nicht mehr kann. Damalige Zweizeiler waren allerdings lasziverer Natur, wie
Lise, Lase, Löse
Nase in die Luft
oder
Statt mich stets zu foppen
Solltest du mich zum Essen einladen
Es ist unsere Regieassistentin, meine stets alle Register ziehende Ex-Orgel, die XL -Version der Frau, die ich mal geliebt habe und die inzwischen nekrophil ist. C wie Christi
a
ne. Ihr neuer Freund und sie werden bestimmt bald zusammenziehen, ins Altenheim, in ein Zimmerchen mit Salzteigschild an der Tür:
Hier wohnen C und Hammerzeh
.
Was will sie von mir? Warum wanzt sie sich an mich ran? »Die Tante soll mich bloß in Ruhe lassen!«, denke ich und schiebe das Handy in meine Tasche zurück.
»Kannst ruhig antworten. Musst keine Angst haben, dass sich die Tante wieder an dich ranwanzt«,
echot es in mir, aber im Sopran, und vor allem … hinter mir. Ich drehe mich um und sehe direkt in die Augen meiner Gedankenleserin. Christiane. Verflucht noch eins, nicht mal in einem sich durch das chilenische Hochplateau schiebenden, mit Lamaspeichel vollgerotzten Bus mit Stehplätzen hat man seine Ruhe.
»Hey, das gibt’s ja nicht! Was machst du denn hier?«,
frage ich etwas zu fröhlich.
»Mich wundern, dass du nicht auf mein Friedensangebot eingehst,«
erwidert sie frech, und ich sehe
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