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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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zum ersten Mal in meinem Beisein ihr Lächeln. Das mochte ich immer so, und ich denke, sie weiß das.
     
    »Oh, und deswegen bist du hier?«
    »Klar, hab mich hierher gebeamt.«
    »Wie lange sitzt du denn schon da?«
    »Da der Bus keinen Zwischenstopp hatte, muss ich wohl von Anfang an hier hocken.«
     
    Klingt einleuchtend. Muss mich erst mal sortieren. Alles ein bisschen viel für mich im Moment. So schweige ich denn beredt und stelle fest, dass wir das sogar beide können. Alles scheint gesagt zu sein.
    Die Ruhe tut gut und der gleichmäßig röhrende Dieselmotor unseres Busses hat was Einlullendes. Der Schweiß rinnt über den Steiß und lindert kühlend meine Schmerzen, und der nach und nach wieder frei werdende Blick auf die Natur setzt dem Ganzen die Krone auf, nämlich die der Schöpfung.
     
    »Hat was Meditatives«,
     
    höre ich von hinten.
    Warum überrascht es mich nicht, dass sie es ähnlich empfindet wie ich? Ich schließe meine Augen.
     
    Die sechzigminütige Strecke haben wir in drei Stunden zurückgelegt. Leicht gerädert steige ich aus.
    Fasse mir ins Kreuz, das im Moment vollkommen zu Recht diesen Namen trägt. Bemerke den leicht verwunderten Blick von Christiane auf mir. Klar, ihre Biomasse hat sie schützend umschlossen, wie der Kokon den werdenden Schmetterling, und irgendwie habe ich den Eindruck, ihre Metamorphose zur Raupe sei noch nicht das Ende. Zu wach sind ihre Augen, zu besonders ihre Anlagen.
    Nach kurzem Zaudern auf beiden Seiten entschließen wir uns leicht fatalistisch, gemeinsam die chilenische Hauptstadt zu erkunden. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Der letzte Bus zurück geht bereits in fünfeinhalb Stunden. Wir verlassen den Busbahnhof in Richtung Metro und entscheiden uns, zunächst Richtung City zu fahren und uns dann vor allem zu Fuß bewegen zu wollen, eingerostet wie wir sind. Wie ein unterirdischer Palast aus der Gründerzeit kommt mir unser Zielbahnhof vor und erinnert mich entfernt an die hochherrschaftlichen Hallen, durch die die Moskauer U-Bahn braust. Gut geklaut, Chilene! Ich bin gespannt, was für eine fremdartige Welt, welche Gerüche und was für Menschen uns über Tage erwarten.
    Wir kraxeln die gut achtzig Stufen hoch – selbst wenn wir die Rolltreppe hätten nehmen wollen, wäre das nicht gegangen, sie ist »fuera de servicio« – und werden gedämpft. Der Gestank einer nordamerikanischen Burgerkette schlägt uns entgegen, und wir haben den Eindruck, in der Fußgängerzone einer deutschen Kleinstadt zu stehen. Hässliche Fassaden, hektische Konsumenten, uncharismatische Schaufenster. Und, wohin das Auge reicht, Menschen mit Handys. Fotografierend, spielend, filmend, drauf rumhackend. Bin fast erleichtert, als ich jemanden sogar damit telefonieren sehe. Schnell sind wir uns einig, dass uns das hier zu bekannt vorkommt, und sehen an einem Laternenpfahl ein Schild, auf dem irgendwas von Hl. Christophorus, Maria und »ferrocarril« oder so steht. Da ich mich zumindest von den Namen ein wenig angesprochen fühle, betrachten wir das schmunzelnd als Zeichen und gehen in die gewiesene Richtung.
    Bin, wie soll ich sagen, irritiert, wie vertraut es sich mit Christiane anfühlt. Wir müssen nicht viel Worte machen und wenn, sind wir einer Meinung, wir lachen, wundern uns und schimpfen über dieselben Dinge, und wenn die Stimmung mal kurz zu sieden droht, kühlt einer von uns die Temperatur sofort wieder mit einem abschreckenden Witzchen runter.
    »Ferrocarril« stellt sich als Zahnradbahn heraus, und die erfährt mit uns ächzend und wackelig einen Höhenunterschied von knapp 150 Metern. San Cristóbal haben die spanischen Eroberer diesen Berg getauft. Auf seiner Spitze befindet sich eine 22 Meter hohe Statue der Mutter Gottes, die wir in einem dreißigminütigen Fußmarsch erwandert haben. An ihrem Sockel rasten wir.
    Unseren Kaffeedurst hatten wir gehofft, auf halber Höhe in einer heruntergekommenen Bar zu stillen. Leider jedoch hatte die Kaffeemaschine genau in diesem Moment ihren verkalkten Geist ausgehaucht. Wir fragten nach ein wenig Wasser, worauf man uns spitzfindig antwortete, man habe nur viel. Und tatsächlich: Seine ausschließliche Darreichungsform waren 5-Liter-Plastikflaschen. Kein Wunder, dass diese Lokalität so verrottet wirkte. Anscheinend wollte man zwanghaft keine Umsätze tätigen.
    Da ich aber was trinken musste
und
einer Koffeinspritze bedurfte, tat ich das, was ich noch niemals getan hatte. Ich kaufte eine Zweieinhalb-Liter-Flasche Cola.

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