Ein Tropfen Blut
einem Triebtäter aus. Vielleicht hat der Kerl schon seit Jahren einen fürchterlichen Hass auf Frauen, vielleicht irgendwelche Mutterkomplexe, was weiß ich. Bevor es zu einer Straftat kommt, staut sich in diesen Kerlen der Frust meist über Jahre hinweg auf, aber typischerweise müsste nach der ersten Tat doch erst mal eine längere Pause eintreten, bevor der Kerl zum zweiten Mal zuschlägt.«
»Du meinst, nach der ersten Vergewaltigung hätte die Luft für eine gewisse Zeit raus sein müssen?«, fragte Gassel nach.
»Das ist richtig«, nickte Schäfer. »Jeder Serientäter hat eine abnehmende Satisfaktionsrate. Der Kick der ersten Vergewaltigung wirkt noch lange nach, zwischen der zweiten und dritten wird die Pause dann schon kürzer, bis das Verlangen des Täters in immer kleineren Abständen durchbricht. Wenn der hier nach der üblichen Uhr tickt, vergewaltigt der bald im Stundentakt.«
»Das hält man doch gar nicht durch«, rutschte es Heinzel heraus.
»Auf jeden Fall besteht die Gefahr, dass wir in Kürze mit einer weiteren Vergewaltigung rechnen müssen«, bestätigte Wielert mit einem langen Seitenblick auf Heinzel. »Obwohl es etliche Anhaltspunkte gibt, die nicht in das Schema eines normalen Triebtäters passen.«
»Normaler Triebtäter?«, wunderte sich Hofmann.
»Liegt doch auf der Hand«, mischte sich Katharina schnell ein, wobei sie ihrem Kollegen unter dem Tisch einen leichten Tritt an den Knöchel verpasste. »Er stiehlt einen VW-Bulli, und zwar vor gut und gern drei Wochen. Er muss die Möglichkeit haben, den Wagen solange zu verstecken. Und er sucht sich in aller Ruhe seine Opfer aus, observiert sie so lange, bis er genug von ihren Lebensgewohnheiten kennt, um einen für ihn sicheren Ort zu finden, an dem er sie in den Wagen zerren kann.«
»Genau das ist es«, sekundierte Wielert. »In beiden Fällen können wir ein zufälliges Aufeinandertreffen von Täter und Opfer ausschließen, dafür waren die Orte der Entführungen zu gut ausgewählt. Meistens geschehen Sexualdelikte doch aus der Gelegenheit heraus; eine dunkle Straße, eine allein nach Hause gehende Frau, ein einsamer U-Bahn-Schacht, ein leeres Zugabteil. Unser Mann scheint eine der wenigen Ausnahmen zu sein, die vorher alles generalstabsmäßig planen.«
»Immerhin sieht es ganz nach einem Ortskundigen aus«, versuchte Hofmann wieder Punkte gutzumachen.
»Um zum Kern zu kommen: Was machen wir jetzt?«, fragte Gassel.
»Viele Optionen haben wir nicht«, erklärte Wielert bedauernd. »Ich schlage vor, Frau Thalbach und Frau Schäfer konzentrieren sich noch einmal auf die beiden Opfer. Eventuell fällt einer der beiden Frauen ja noch ein entscheidendes Detail ein. Und wir sollten uns ausgiebig mit dem Freundes- und Bekanntenkreis der beiden beschäftigen, genauso mit den Arbeitskollegen.«
»Warum?«, fragte Heinzel.
»Der Täter muss seine Opfer über einen längeren Zeitraum beobachtet haben. Ich vermute, mindestens seit er den VW-Bulli gestohlen hat, war ihm klar, wen er sich vornehmen wollte. Vielleicht ist ja irgendjemandem eine Person aufgefallen, die sich für eines der Opfer interessiert hat.«
»Verstehe«, nickte Hofmann. »Hat jemand in einer Kneipe auffällig herübergeschaut und so weiter. Mann, das wird ja schlimmer als die berühmte Nadel im Heuhaufen.«
»Und wir dürfen nichts außen vor lassen«, mahnte Wielert. »Überprüft auch die Telefongespräche der Opfer und: Vielleicht hatten die Kontakte über das Internet. Sollte zwischen den Frauen doch irgendeine Beziehung bestanden haben oder sollte der Täter vorher Kontakt zu den Frauen aufgenommen haben, müssen wir das herausbekommen.«
»Was ist mit einem Lockvogel?«, wollte Gassel wissen.
»Quatsch«, meinte Heinzel sofort. »Das kannst du vergessen.«
»Und warum?«
»Weil der Kerl nicht abends durch die Stadt streift und sich das erste Mäuschen greift, das ihm über den Weg läuft. Der sucht sich seine Opfer sorgfältig aus. Ein Lockvogel bringt da gar nichts.«
»Ich hätte es zwar anders ausgedrückt, aber Kollege Heinzel hat Recht«, mischte sich Wielert ein. »Allerdings bin ich auch aus völlig anderen Gründen dagegen.«
»Zu gefährlich?«, mutmaßte Hofmann.
»Nicht nur. Das Hauptproblem ist doch, wenn der Täter tatsächlich so weit im Voraus plant, wie wir vermuten müssen, hat der sich sein nächstes Opfer schon längst ausgeguckt.«
»Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren«, meinte Schäfer leise.
18
»Deine Mutter
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