Ein Tropfen Blut
Instrumente aus der Hand. Sogar der abgebrühte Exil-Bayer hatte im Angesicht des ihm bestens bekannten Toten seine Schnodderigkeit verloren.
»Ich werde noch wahnsinnig«, fluchte der Hauptkommissar leise. »Wann ist der denn endlich fertig?«
Katharina ließ gerade wieder ihr Feuerzeug in ihrer Tasche verschwinden und blies einen Rauchkringel zur Decke. »Das braucht nun mal seine Zeit«, antwortete sie tonlos.
»Soll ich uns ‘nen Kaffee besorgen?«, fragte Hofmann leise und steckte endlich das kleine Etui in die Innentasche seiner Lederjacke.
»Später«, lehnte Wielert ab. »Katharina, gib mir bitte auch eine.«
Die Blonde kam der Aufforderung nach und warf ihrem Boss die fast geleerte Zigarettenschachtel zu. Eigentlich war Wielert seit Jahren nikotinfrei, aber er musste etwas in den Händen haben, das ihn ablenkte.
Zischend fuhr die automatische Tür zu den Sektionsräumen zurück und Brettschneider betrat, seine Hände mit einem Zellstofftuch abwischend, den Gang. Unter den Augen des Arztes zeigten sich tiefe Ringe. Die zurückliegende Arbeit hatte ihn sichtbar mitgenommen.
Mit einem Kopfnicken deutete er auf sein kleines Büro. Wielert wollte die eben angerauchte Zigarette ausdrücken, aber Brettschneider winkte ab. Tabakqualm hatte ihn noch nie gestört.
»Legen Sie los«, bat Gassel mit trockenem Mund, nachdem sie sich zu fünft in das winzige Kämmerchen gedrückt hatten.
»Falls es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich gerne noch auf Herrn Lohkamp warten«, gab Brettschneider zurück. »Ich möchte ungern alles zweimal erzählen müssen.«
»Lohkamp?«, fragte Wielert nach.
»Müsste gleich da sein«, nickte Brettschneider. »Er hat mich gerade noch aus dem Auto angerufen.«
Wenig später quetschte sich der rotblonde Kollege zu ihnen in den Raum. Er grüßte mit einem Kopfnicken, suchte sich den letzten freien Hocker und machte ein undurchdringliches Gesicht.
»Also«, seufzte Brettschneider. »Nach meinen bisherigen Erkenntnissen starb Heinzel durch einen Schuss in den Kopf. Die Kugel drang unmittelbar hinter der Kinnspitze in das Gewebe ein, durchschlug den Rachen und das Gehirn und trat am Hinterkopf wieder aus. Schätze, der Schuss wurde aus einer Entfernung von maximal fünf Zentimetern abgegeben. Wenn Ihnen das ein Trost ist, Ihr Kollege hat nicht gelitten.«
»Heißt das, Gisbert hat Selbstmord begangen?«, kapierte Katharina als Erste.
Brettschneider wechselte einen schnellen Blick mit Lohkamp und sah dann zu Thalbach hinüber. »Es hat den Anschein. An der Eintrittswunde habe ich Schmauchspuren gefunden, ebenso an Heinzels rechter Hand.«
»Unmöglich«, polterte Gassel los. »Ich kenne… kannte Gisbert seit mehr als zwanzig Jahren. Der hätte sich im Leben niemals selbst gerichtet.«
»Warum sind Sie sich so sicher?«, fragte Lohkamp aus seiner Ecke.
»Weil ich mit diesem Mann befreundet war«, regte sich Gassel auf. »Sie können nicht beurteilen, was für ein Mensch Gisbert war. Ich habe ihn in verdammt vielen brenzligen Situationen erlebt. Niemals, ich sage Ihnen: Niemals hat er den Kopf verloren. Es muss eine andere Erklärung geben.«
»Kann nicht jeder in eine Situation kommen, in der meint, weiterzuleben sei sinnlos?«, bohrte Lohkamp nach. »Soweit ich weiß, stand Heinzel in der letzten Zeit gewaltig unter Druck. Da kann es bei jedem zu einem Kurzschluss kommen.«
»Aber…«, begann Gassel erneut, brach jedoch ab.
»Stimmt, es gab in den letzten Tagen einige Probleme«, antwortete stattdessen Wielert. »Aber obwohl wir nicht gerade das beste Verhältnis zueinander hatten, vermag auch ich nicht an einen Selbstmord zu glauben. Dafür war er einfach nicht der Typ.«
»Heinzels Dienstwaffe lag nur zweieinhalb Meter neben der Leiche in einem Gestrüpp«, bemerkte Lohkamp. »Aus dem Magazin fehlt eine Kugel, der Lauf der Waffe ist mit Blut- und… auch mit Geweberesten verschmiert.«
»Gisbert hatte doch überhaupt kein Motiv für einen Selbstmord«, meinte Hofmann. »Meine Güte, auch wenn es tatsächlich zu einem Disziplinarverfahren gegen ihn gekommen wäre – das ist doch kein Grund, sich umzubringen.«
Lohkamp setzte zu einer Antwort an, aber Wielert kam ihm zuvor. »Herr Brettschneider, wie lange hat die Leiche dort gelegen?«
Brettschneider hob die Schultern. »Fragen Sie mich etwas Leichteres. Infrage kommt ein Zeitraum zwischen fünfzig und neunzig, vielleicht hundert Stunden. Vergessen Sie nicht, am vergangenen Wochenende war es sehr warm. Deshalb ist eine
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