Ein Tropfen Blut
eine Schachtel filterlose Zigaretten ans Tageslicht und hielt sie fragend in die Höhe. Wielert nickte.
»Jedenfalls«, meinte Jungblut nach dem ersten Zug, »hatte ich in der Nähe dieser Bar geparkt. Morgens bekommt man vor der Praxis eigentlich immer einen Parkplatz, aber an dem Tag sah es schlecht aus. Ich musste bestimmt fünf Minuten laufen, bis ich bei der Praxis war. Ich habe dem Doktor schon mal vorgeschlagen, auf dem Hinterhof seiner Praxis eine Parkmöglichkeit für seine Patienten einzurichten, aber da hat der gar nicht drauf reagiert…«
»Was haben Sie denn nun gesehen?«, unterbrach Wielert mit einem letzten Rest verbliebener Selbstbeherrschung.
»Was? Ach ja, also, ich komme von der Praxis zurück, ich konnte doch noch nicht richtig laufen, weil ich immer noch Schmerzen hatte, da ist der Kerl in mich reingerannt.«
»Wo genau?«, wollte Wielert wissen.
»Na, direkt vor der Bar. Oder besser in der Einfahrt zum Hof. Ich denk mir noch, eine Schande ist das, so einen Laden in einem Wohngebiet zuzulassen, aber in Bochum ist ja alles möglich, bei dem Oberbürgermeister. Ich hinke also zurück zum Auto und da kommt der Kerl um die Ecke gerannt, direkt in mich rein. Ich hab ihm noch hinterhergerufen, aber der hat gar nicht reagiert. Dabei wäre ich beinahe gefallen, ich stand doch sowieso nicht sicher auf den Beinen. Noch nicht mal umgedreht hat der sich, ist stur weitergelaufen und in sein Auto gestiegen.«
»Um wie viel Uhr war das?«, seufzte Wielert.
»Genau weiß ich das nicht, aber vielleicht so um fünf nach zehn, zehn nach zehn. Später auf gar keinen Fall.«
Thalbach entknotete ihre Fingerknöchel und atmete durch.
»In was für einem Wagen ist er weggefahren?«, fragte sie schnell, bevor der nächste Redeschwall auf sie niederprasseln konnte.
»Die Marke? Tut mir Leid, aber die hab ich nicht erkannt. Könnte ein Opel oder ein Ford gewesen sein, die Autos sehen doch heute alle gleich aus. Außerdem stand der Wagen schon ein gutes Stück weg. Und dann kam doch noch dieser LKW, der in den Hof wollte. Da musste ich Platz machen.«
Wielert nickte stumm. Der Getränkelieferant.
»Können Sie den Mann, der Sie beinahe umgerannt hat, beschreiben?«, fragte Gassel.
»Sicher, für einen Augenblick hat der mir direkt ins Gesicht gesehen. Vielleicht Anfang bis Mitte vierzig, ein paar Zentimeter größer als ich.«
»Und weiter?«, drängte Wielert. »Haarfarbe? Wie war er gekleidet?«
Jungblut sah sich suchend um und beugte sich schließlich vor. Der Aschenbecher stand noch unbenutzt auf Heinzels Schreibtisch.
»Aber das ist doch der Kerl«, meinte er dann überrascht.
»Wer?«, fragte Gassel verständnislos.
»Na, der Kerl, der mich über den Haufen gerannt hat«, trompetete Jungblut. »Der da.«
Dabei spießte sein Zeigefinger beinahe Heinzels Foto auf.
36
»Katharina, hast du wohl noch eine Zigarette für mich?« Wielert hatte den Wagen an den Seitenstreifen gelenkt und den Motor ausgeschaltet, machte aber keine Anstalten, auszusteigen. Gassel, der auf dem Beifahrersitz hockte, starrte abwesend durch die Windschutzscheibe und schien noch nicht mal mitbekommen zu haben, dass sie standen.
»Hier«, meinte die Blonde auf dem Rücksitz und reichte ihrem Chef eine ihrer Aktiven nach vorne. Wielert steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen, drehte den Kopf, sodass er die Flamme von Katharinas Feuerzeug erreichte, und nahm einen tiefen Zug. Nachdem die Blonde sich ebenfalls bedient hatte, klappte sie die Kappe des Feuerzeuges wieder zu.
»Geht es euch genauso wie mir?«, fragte Gassel leise, wobei er das Fenster auf seiner Seite herunterkurbelte.
»Ich weiß zwar nicht genau, was du damit sagen willst«, entgegnete Wielert müde, »aber was mich betrifft, so könnte ich einen sechs Wochen langen Urlaub vertragen.«
»Du hast ja nicht mehr lange«, ließ sich Katharina aus dem Fond vernehmen.
»Falls wir diese Fälle vorher zum Abschluss bringen«, fluchte der Hauptkommissar.
»Zweifelst du daran?«, fragte Gassel.
»Du nicht?«
»Kein bisschen. Ich glaube sogar, alles, was wir brauchen, haben wir schon in den Akten. Wir sehen nur noch nicht den Zusammenhang.«
»Optimist«, spottete Katharina.
»Wenn Frau de Vries von der Zeugenaussage dieses Pädagogen hört, springt die vor Freude an die Decke«, prophezeite Wielert grimmig. »Nicht nur, dass Gisbert unter die Vergewaltiger gegangen ist, jetzt scheint er auch noch für jeden ungelösten Mord der letzten zwei Jahre
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