Ein Tropfen Zeit
werde an uns denken, und ich sollte ihm eine Postkarte aus Irland schicken, auf der stand: »Ich wünschte, Sie wären hier.«
Als ich in die Hauptstraße einbog und auf hundert Stundenkilometer ging, fing ich an zu singen. Genauso mußte einem Verbrecher zu Mute sein, nachdem er eben eine Bank ausgeraubt hatte und in einem gestohlenen Lastwagen mit dem Geld davongekommen war. Schade, daß ich nicht den ganzen Tag vor mir hatte, um in aller Ruhe die Gegend zu erforschen oder vielleicht nach Bere hinaufzufahren und mir Sir William Ferrers und seine Frau Mathilda anzusehen. Ich hatte den Ort auf der Karte gefunden – er lag gleich hinter dem Tamar in Devon – und hätte gern gewußt, ob das Haus noch stand. Wahrscheinlich nicht – oder es war heute ein Bauernhaus. Carminowe hatte ich ebenfalls in der Gemeindegeschichte entdeckt, und es hieß, das alte Gutshaus, die Kapelle und der alte Friedhof seien in der Regierungszeit Jakobs I. verfallen.
Ich nahm eine Abkürzung, und während ich von Devon nach Cornwall fuhr, sang ich noch lauter, denn selbst wenn Vita jetzt in Dublin landete, war ich vor jeder Verfolgung sicher. Sie konnte mich nicht erreichen.
Dies war mein letzter Trip; zum letztenmal durfte ich mir diese Freude gönnen, und was immer im Laufe der Ereignisse aus mir werden würde: Ich konnte weder ihr noch den Jungen etwas antun, denn sie befanden sich auf irischem Boden und in Sicherheit.
»… In solcher Nacht
Stand Dido, eine Weid' in ihrer Hand,
Am wilden Strand und winkte ihrem Liebsten
Zur Rückkehr nach Karthago.«
Aber Isoldas Liebster war am Strand der Bucht von Treesmill gestorben, und ich glaubte nicht, daß die drohende Aussicht auf Klostermauern, Joannas Spottreden oder das Versprechen des Mönchs, ihr sicheres Geleit zu einer zweifelhaften Zuflucht in Angers zu geben, Isolda am Ende doch noch Roger zugetrieben hatte. Vor sechshundert Jahren war einer Frau, die ihren Mann verlassen hatte, eine traurige Zukunft beschieden, vor allem, wenn der Mann schon sein Auge auf die dritte Braut geworfen hatte. Oliver Carminowe und der Familie Ferrers hätte es nur allzugut gepaßt, wenn Isolda ganz einfach verschwand, und das war leicht möglich, wenn sie sich Joannas Obhut anvertraute. Aber der Aufenthalt unter Rogers Dach war bestenfalls eine Notlösung und nichts für die Dauer.
Als ich durch das Bodmin-Moor fuhr und froh war, daß jede Meile mich meinem Haus näherbrachte, wurde meine Begeisterung auf einmal gedämpft durch den Gedanken, daß dies nicht nur die letzte Reise in die andere Welt sein würde. Außerdem würde ich weder den Zeitpunkt noch die Jahreszeit meines Trips bestimmen können. Vielleicht hatte es getaut, der Frühling war vorbei, der Hochsommer eingekehrt, und Isolda härmte sich irgendwo in Devon hinter Klostermauern und war damit aus Rogers und meinem Leben verschwunden. Ich fragte mich, ob Magnus den Zeitfaktor wohl hätte regulieren können, wenn er noch lebte, so daß die Stunde des Erwachens in der Vergangenheit vom Experimentierenden selbst festgelegt wurde und ich heute meine Gestalten dort wieder antreffen konnte, wo ich sie verlassen hatte. Das war in den wenigen Wochen meiner Versuche nie geschehen. Ich hatte stets einen Sprung in der Zeit festgestellt. Joannas Wagen würde gewiß nicht mehr auf dem Berg hinter Kylmerth warten; Roger, Isolda und Bess würde nicht mehr in der Küche sein. Jener letzte Schluck im Spazierstock gewährleistete wohl den Zugang zu meiner Welt, aber nicht, was ich dort finden würde.
Ich war die letzten Kilometer ganz mechanisch gefahren, und ich erinnerte mich erst jetzt an die Abzweigung, die mich an Tregesteynton vorbei ins Treesmill-Tal brachte. Sehnsucht überfiel mich, während ich am heutigen Bauernhaus Strickstenton vorbeikam; ein schwarzweißer schottischer Schäferhund sprang bellend auf die Straße, und ich dachte an die kleine Margaret, Isoldas jüngste Tochter, die sich Robbies Reitpeitsche wünschte, und an Joanna, die ältere, die sich vor dem Spiegel putzte.
Ich kam ins Tal hinab, und meine Identifizierung mit der Vergangenheit war so stark, daß ich im Augenblick ganz vergessen hatte, daß der Fluß nicht mehr existierte. Ich suchte Rob Rosgofs Hütte an der Furt gegenüber der Mühle; aber natürlich fand ich weder den Fluß noch die Furt, nur die Straße, die nach links abbog, und ein paar Kühe, die auf der sumpfigen Wiese weideten.
Ich wünschte, ich säße in einem Sportwagen, denn der Buick war zu groß und
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