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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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deine Schwester nicht auch damit spielen lassen, obwohl sie es dir gegeben hat? So etwas kann meine Lissie doch nicht sagen. Ich glaube, sie ist durch den Schornstein geflogen, und an ihrer Stelle steht jetzt ein böses Mädchen hier.«
    Er schnalzte mißbilligend mit der Zunge; als sie das hörte, fiel ihr breiter Mund herab, ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie schlang die Arme bitterlich weinend um ihn und klammerte sich an sein Gewand.
    »Na, schon gut, schon gut«, sagte er. »Vater hat es ja nicht so gemeint, er liebt seine Liz, aber sie darf ihn nicht ärgern, er ist noch schwach und krank, und die arme Katie auch. Komm mit hinauf, dann kann sie uns vom Bett aus zusehen. Wenn du den Ball recht hoch wirfst, geht es ihr gleich besser, und vielleicht lächelt sie sogar.«
    Er nahm ihre Hand und führte sie auf die Treppe. Jetzt kam jemand durch die Tür von den Wirtschaftsräumen her. William hörte die Schritte und wandte den Kopf.
    »Achte darauf, daß alle Türen fest geschlossen sind, bevor du fortgehst«, mahnte er, »und sag den Knechten, sie sollen niemandem öffnen. Gott weiß, daß ich diesen Befehl sehr ungern gebe, aber ich muß es tun. Die kranken Streuner warten, bis es dunkel geworden ist, und klopfen dann an fremde Türen.«
    »Ich weiß. In Tywardreath waren viele solche, darum hat der Tod auch so rasch um sich gegriffen.«
    Kein Zweifel, wer da an der Tür stand, war Robbie – größer, breitschultriger als der Junge, den ich gekannt hatte, und sein Kinn war bärtig wie das seines Bruders.
    »Und paß unterwegs gut auf«, fuhr William fort. »Die armen wahnsinnigen Wanderer wollen dich vielleicht niederschlagen; sie meinen, weil du reitest, habest du einen Zauberschatz an Gesundheit, der ihnen vorenthalten wurde.«
    »Ich reite vorsichtig, Sir William, fürchtet nichts. Ich würde Euch auch nicht über Nacht allein lassen, aber ich muß nach Roger sehen. Fünf Tage lang war ich nicht mehr zu Haus, und er ist allein.«
    »Ich weiß. Gott beschütze euch beide und behüte uns in dieser Nacht.«
    Er führte seine Tochter die Treppe hinauf, und ich folgte Robbie in die Wirtschaftsräume. Drei Knechte saßen mutlos am Herd; einer hatte die Augen geschlossen und den Kopf an die Wand gelehnt. Robbie richtete ihm Sir Williams Auftrag aus, und der Knecht wiederholte: »Gott sei mit uns«, ohne dabei die Augen zu öffnen.
    Nun schloß Robbie die Tür hinter sich und ging in den Hof. Sein Pony war im Schuppen angebunden. Er sprang auf und ritt langsam den aufgeweichten Weg entlang durch den Nieselregen, vorbei an den kleinen Hütten, die zum Hof gehörten. Alle Türen waren fest verriegelt; nur über zwei Hütten stieg Rauch auf, die anderen schienen verlassen. Wir kamen oben auf dem Hügel an. Robbie bog nicht nach rechts in die Straße zum Dorf ein, sondern hielt vor dem Lehnshof zur Linken, stieg ab, band sein Pony ans Tor und ging zur kleinen Kapelle hinauf. Er öffnete die Tür, trat ein, und ich folgte ihm. Die Kapelle war klein, kaum mehr als sechs Meter lang und drei Meter breit, mit einem einzigen Fenster hinter dem Altar. Robbie bekreuzigte sich, kniete vor dem Altar nieder und senkte den Kopf im Gebet. Unter dem Fenster stand eine lateinische Inschrift, die ich entzifferte:
    »Mathilda Champernoune erbaute diese Kapelle zum Gedenken an ihren Mann William Champernoune, gestorben 1304.« Auf einem Stein vor den Stufen der Kanzel fand ich ihre Initialen und ihr Todesjahr, das ich jedoch nicht lesen konnte. Auf einem ähnlichen Stein weiter links waren die Initialen H.C. eingeritzt. Keine farbigen Glasfenster, keine Bildnisse oder Grabsteine in der Mauer: dies war ein Betraum, eine Gedächtniskapelle.
    Als Robbie aufstand und sich umdrehte, bemerkte ich noch einen Stein vor den Stufen der Kanzel. Darauf standen die Buchstaben I.C. und das Todesjahr 1335. Ich folgte Robbie in den Regen hinaus. Es gab nur einen Namen, den diese Buchstaben bezeichnen konnten, und er lautete nicht Champernoune.
    Überall um mich her, am Lehnshof und im Dorf Öde. Keine Menschen auf dem Platz, keine Tiere, keine bellenden Hunde. Die Türen der kleinen Behausungen um den Dorfplatz waren geschlossen wie die des Gutshauses. Eine einzige, halb verhungerte Ziege, deren Rippen überall am mageren Körper hervortraten, war neben dem Brunnen angekettet und fraß das dürre Gras. Wir stiegen den Bergpfad oberhalb der Priorei hinauf; als ich von dort in den Hof sah, entdeckte ich kein Zeichen des Lebens. Alles wirkte

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