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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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auffällig. Einer plötzlichen Eingebung folgend, parkte ich ihn neben der Brücke unterhalb der Mühle, ging ein Stück den Pfad hinauf und kletterte über das Tor auf das Feld, das zum Steinbruch führte. Es drängte mich, noch einmal dort zu stehen, bevor ich nach Hause zurückkehrte; denn wenn ich Kilmarth erreichte, war die Zukunft ungewiß; das letzte Experiment konnte mich ja in unvorhergesehene Schwierigkeiten bringen. Ich wollte den Anblick des Treesmill-Tales mitnehmen, wie es in der späten Augustsonne dalag; Einbildungskraft und Erinnerung mochten dann das übrige tun und den gewundenen Fluß mit Bucht und Ankerplatz unter dem längst verfallenen Haus wieder erstehen lassen. Auf den Feldern hinter dem Steinbruch hatte die Ernte begonnen, aber hier unterhalb der Hecke stand das Gras noch hoch, und Kühe weideten darin. Ich kletterte über den hohen Erdwall, der die Stätte umgab und blickte auf die schmale Grasfläche, die einst ein Pfad unter dem Hausfenster gewesen war; dort hatten Isolda und Bodrugan Hand in Hand gesessen.
    Jetzt lag ein Mann dort, der eine Zigarette rauchte, den Mantel als Kissen unter den Kopf geschoben. Ich blickte angestrengt und ungläubig hinüber und dachte, Schuldgefühle und schlechtes Gewissen müßten dieses Bild heraufbeschworen haben. Aber ich täuschte mich nicht. Der Mann, der dort lag, war ganz real – es war Dr. Powell.
    Ich beobachtete ihn eine Weile, dann schraubte ich entschlossen Magnus' Spazierstock auf und holte den kleinen Becher heraus. Ich nahm meine letzte Dosis und schob den Becher wieder in den Stock zurück. Dann ging ich den Hang hinab auf den Arzt zu.
    »Ich dachte, Sie seien zum Wellenreiten an die Nordküste gefahren?« sagte ich.
    Er richtete sich sofort auf, und ich hatte zum erstenmal, seit ich ihn kannte das ungeheuer befriedigende Gefühl, daß ich ihn überraschte und somit im Vorteil war.
    Er faßte sich schnell, der erstaunte Blick wich einem verbindlichen Lächeln. »Ich habe es mir anders überlegt«, antwortete er ruhig, »und ließ die Familie ohne mich fahren. Sie haben offensichtlich das gleiche getan.«
    »Vita hat mich dazu gezwungen; sie hat auch nicht lange gezögert«, sagte ich.
    »Was hat Ihre Frau damit zu tun?«
    »Nun, die hat Sie doch von Dublin angerufen, nicht wahr?«
    »Nein.«
    Jetzt machte ich ein erstauntes Gesicht und starrte ihn an. »Warum warten Sie dann hier auf mich?«
    »Ich habe nicht auf Sie gewartet. Ich beschloß, Ihr Gelände zu erforschen, anstatt den Wogen des Atlantik zu trotzen. Mein Vorgefühl hat sich bestätigt. Sie können mir nun alles zeigen.«
    Meine Großspurigkeit verging. Er war offenbar auf mein Spiel eingegangen, und es war ihm gelungen.
    »Wollen Sie nicht wissen, was auf dem Flugplatz geschah?« fragte ich.
    »Nicht unbedingt«, antwortete er. »Das Flugzeug startete, das weiß ich, denn ich rief in Exeter an, um nachzuprüfen. Man konnte mir nicht sagen, ob Sie abgeflogen waren oder nicht, aber ich wußte, wenn Sie nicht an Bord waren, würden Sie nach Kilmarth zurückkommen, und wenn ich auf einen Tee vorbeikam, würde ich Sie im Kellergeschoß antreffen. Inzwischen trieb mich meine brennende Neugierde, eine halbe Stunde hier zu verbringen.«
    Seine unerschütterliche Sicherheit reizte mich, aber noch mehr ärgerte ich mich über mich selbst. Wenn ich die andere Straße genommen hätte, wenn ich nicht meiner Eingebung gefolgt und durch das Treesmill-Tal gekommen wäre, so wäre ich schon in Kilmarth und hätte mindestens eine halbe Stunde für mich, bevor er mich dort gestört hätte.
    »Na schön«, sagte ich, »ich weiß, daß ich Vita und den Jungen einen bösen Streich gespielt habe; sie ruft jetzt sicher vom Dubliner Flughafen bei Ihnen an und erhält keine Antwort. Was mich stutzig macht, ist, daß Sie mich abreisen ließen, obwohl Sie wußten, was geschehen würde. Sie haben beinahe ebensoviel Schuld daran wie ich.«
    »O gewiß«, antwortete er, »ich bin mitverantwortlich, und wir werden uns beide entschuldigen, wenn wir mit Ihrer Frau telefonieren. Aber ich wollte Ihnen eine Chance geben, anstatt mich nach den üblichen Regeln zu richten.«
    »Und was sagen die Regeln?«
    »Setzen Sie den Süchtigen hinter Schloß und Riegel, wenn es ihn richtig erwischt hat.«
    Ich sah ihn nachdenklich an und stützte mich auf Magnus' Spazierstock. »Sie wissen ganz genau, daß ich Ihnen Flasche C gegeben habe«, sagte ich, »und daß es der letzte Rest war; außerdem haben Sie das Haus sicher

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