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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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schlafen, wann ich wollte. Ich ging in die Küche hinunter, briet mir Würstchen, Eier und Speck und goß eine Kanne Tee auf. Ich fühlte mich für einen neuen Tag gerüstet, aber was in aller Welt konnte ich um fünf Uhr an diesem grauen, trostlosen Morgen anfangen? Nur eins. Dann das Wochenende zur Erholung, falls ich Erholung brauchte …
    Ich stieg ins Kellergeschoß hinab, machte Licht und pfiff vor mich hin. Bei diesem Licht sah alles viel besser aus, viel heiterer. Sogar das Labor wirkte nicht mehr wie eine Alchimistenzelle, und die Tropfen in das Arzneiglas füllen war so leicht wie Zähneputzen.
    »Na, nun komm schon, Roger«, sagte ich, »zeig dich. Wie wär's mit einem kleinen Tête-à-tête?«
    Ich setzte mich auf den Rand des Ausgusses und wartete. Ich wartete lange. Nichts geschah. Ich starrte weiter die Embryos in den Flaschen an, während es vor dem vergitterten Fenster allmählich heller wurde. Ich muß etwa eine halbe Stunde dort gesessen haben. Was für ein gemeiner Schwindel! Da fiel mir ein, daß Magnus mir geraten hatte, die Dosis zu erhöhen. Ich nahm den Tropfer, ließ ganz vorsichtig zwei oder drei weitere Tropfen auf meine Zunge fallen und schluckte sie herunter. War das Einbildung oder hatten sie diesmal einen Geschmack – bitter und ein bißchen sauer?
    Ich schloß die Tür des Labors, ging durch den Gang zur alten Küche und schaltete das Licht aus, denn es war schon grau, und draußen im Innenhof erschien der erste Schein der Dämmerung. Dann hörte ich, wie die Hintertür knarrte – sie kratzte gewöhnlich über die Steinplatte – und mit einem plötzlichen Luftzug weit aufsprang. Ich hörte Schritte und eine männliche Stimme.
    Um Gottes willen, dachte ich, Mrs. Collins ist aber früh gekommen – sie hatte etwas davon gesagt, daß ihr Mann den Rasen mähen wollte.
    Der Mann stieß die Tür auf und zerrte einen Jungen hinter sich her. Es war nicht Mrs. Collins' Mann, es war Roger Kylmerth, und hinter ihm gingen fünf Männer mit Fackeln, und vom Innenhof fiel kein Licht des Morgens mehr herein, sondern es herrschte schwarze Nacht.

9
    Ich hatte an der ehemaligen Anrichte der alten Küche gelehnt, aber jetzt stand nur noch die steinerne Wand hinter mir, und die Küche selbst war der Wohnraum des ursprünglichen Hauses, an einem Ende der Herd und daneben die Leiter, die ins Schlafzimmer hinaufführte. Das Mädchen, das ich beim vorigen Trip hatte am Herd knien sehen, lief beim Geräusch der männlichen Schritte die Leiter herunter. Als Roger sie erblickte, rief er: »Los, verschwinde! Was wir tun und sagen, geht euch nichts an!«
    Sie zögerte; der Junge, Rogers Bruder, sah ihr über die Schulter. »Hinaus mit euch!« schrie Roger, und sie wichen zurück und stiegen die Leiter hinauf; ich beobachtete jedoch von meinem Platz aus, daß sie sich dort oben hinkauerten, ohne von den Männern gesehen zu werden, die hinter dem Verwalter in die Küche traten.
    Roger setzte sein Windlicht auf einer Bank ab und erleuchtete so den Raum. Ich erkannte den Jungen, den er festhielt – es war der Novize, der bei meinem ersten Besuch in der Priorei zur Belustigung der übrigen Mönche im Hof vor den Stallungen hatte herumlaufen müssen und später beim Gebet in der Kapelle geweint hatte.
    »Ich werde ihn schon zum Reden bringen, wenn ihr es nicht könnt«, sagte Roger. »Ein Vorgeschmack des Fegefeuers wird ihm die Zunge lösen.«
    Er rollte langsam seine Ärmel hoch, und sein Blick weilte unverwandt auf dem Novizen; der Junge fuhr zurück und suchte zwischen den anderen Männern Schutz, die ihn jedoch lachend vorwärtsstießen. Er war gewachsen, seit ich ihn damals gesehen hatte, aber ich erkannte ihn wieder. Sein erschreckter Blick ließ darauf schließen, daß die rauhe Behandlung, vor der er sich fürchtete, dieses Mal absolut ernst gemeint war.
    Roger packte ihn an der Kutte und schleuderte ihn neben der Bank auf die Knie. »Sag uns alles, was du weißt«, befahl er, »oder ich versenge dir das Haar auf dem Kopf.«
    »Ich weiß nichts«, stammelte der Novize. »Ich schwöre bei der Muttergottes …«
    »Keine Gotteslästerungen«, herrschte Roger ihn an, »oder ich stecke auch deine Kutte in Brand. Du hast lange genug den Spion gespielt, und wir wollen die Wahrheit wissen.«
    Er griff nach dem Licht und hielt es dicht an den Kopf des Jungen. Dieser kauerte sich tiefer und begann zu schreien. Roger schlug ihm auf den Mund. »Los, heraus mit der Sprache«, sagte er.
    Das Mädchen und ihr

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