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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Ein Viertel Bourbon ist noch in der Flasche, der ist für euch. Ich gehe ins Bett.«
    Ich stand auf und ging hinaus. Jetzt, da ich die Vierergruppierung verlassen hatte, würde die Petting-Party automatisch zu Ende sein, und sie würden alle drei noch lange dasitzen und feierlich über meine verschiedenen Charakterzüge diskutieren, und wie sehr ich mich verändert hätte, was mit mir zu tun sei und was die Zukunft bringe.
    Ich zog mich aus, hielt meinen Kopf unter kaltes Wasser, riß die Vorhänge zurück, legte mich ins Bett und schlief sofort ein.
    Der Mond weckte mich. Er schien durch einen Spalt zwischen den Vorhängen, die Vita zugezogen hatte, und sandte einen Lichtstrahl auf mein Kissen. Sie lag auf ihrer Seite im Bett und schnarchte, was selten vorkam, mit weit offenem Mund – das mußte das letzte Viertel Whisky gewesen sein. Ich sah nach der Uhr: Es war halb vier. Ich stand auf, ging ins Ankleidezimmer und zog mir Jeans und eine Pullover an.
    Oben auf der Treppe blieb ich stehen und horchte an der Tür des Gästezimmers. Kein Laut. Stille auch im Flur, neben dem die Jungen schliefen. Ich ging nach unten, hinten herum ins Kellergeschoß und zum Labor. Ich war völlig nüchtern, kühl und gesammelt, weder in Hochstimmung noch niedergeschlagen; nie im Leben hatte ich mich normaler gefühlt. Ich war entschlossen, einen Trip zu machen, das war alles. Jetzt hieß es, vier Maße ins Fläschchen gießen, den Wagen aus der Garage holen, ins Tal von Treesmill hinunterrollen, parken und zum Steinbruch gehen. Der Mond schien hell; wenn er am westlichen Himmel verblaßte, würde die Dämmerung hereinbrechen. Und sollte die Zeit mir ein Schnippchen schlagen und die Reise bis zum Frühstück dauern – was tat das schon? Ich würde nach Hause fahren, wenn mir danach zumute war, und Vita und ihre Freunde mochten tun, was sie wollten.
    In einer Nacht wie dieser … eine Verabredung mit wem? Die heutige Welt schlief, und meine Welt erwachte erst, wenn die Droge mich in ihre Gewalt bekam. Ich kam die Straße nach Treesmill hinunter. Mondlicht überflutete das Tal und schimmerte auf den grauen Dächern der Nerzfarm. Ich parkte den Wagen dicht am Graben, kletterte über das Tor zum Feld und suchte meinen Weg zu der Grube neben dem Steinbruch, denn hier hatte einst die Eingangshalle gelegen. Dort im Dunkeln neben einem Baumstumpf schluckte ich den Inhalt des Fläschchens. Zuerst geschah nichts, ich bemerkte nur ein Summen in den Ohren, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Ich lehnte mich an die Böschung und wartete.
    Etwas rührte sich in der Hecke, vielleicht ein Kaninchen, und das Summen in meinen Ohren wurde stärker. Ein Stück rostiges Wellblech hinter mir im Steinbruch klapperte und fiel herunter. Das Summen erfüllte nun alles, es wurde ein Teil der Welt um mich her, und das Geräusch übertrug sich auf das Geklapper der Fensterrahmen in der großen Halle und das Heulen des Sturmes. Regen strömte vom grauen Himmel und schlug gegen die Pergamentscheiben, und als ich vortrat und hinausblickte, sah ich, daß das Wasser in der Bucht unten hochauf wogte und die Flut in kurzen Wellen hereintrieb. Die Bäume drüben an den Hängen bogen sich in geschlossener Front, Herbstblätter flogen, vom Wind gepeitscht, und ein Schwarm Stare flatterte, zu einem schreienden Haufen zusammengedrängt, nach Norden und verschwand. Ich war nicht allein. Roger stand neben mir, er spähte ebenfalls mit besorgter Miene in die Bucht hinab, und wenn ein Windstoß den Fensterrahmen erschütterte, befestigte er ihn wieder, schüttelte den Kopf und murmelte: »Gott gebe, daß er sich bei diesem Wetter nicht hierher wagt.«
    Ich sah mich um und entdeckte, daß man die Halle mit einem Vorhang unterteilt hatte; hinter ihm hörte ich Stimmen. Ich folgte Roger, der den Vorhang beiseite zog. Einen Augenblick meinte ich, die Zeit hätte mich wieder getäuscht und mich in eine Vergangenheit geführt, die ich bereits erlebt hatte, denn an einer Wand befand sich ein Strohsack, und es lag ein Kranker darauf. Joanna saß am Fußende und der Mönch Jean neben dem Kopfkissen. Als ich näherkam, erkannte ich jedoch, daß der Kranke nicht ihr Mann war, sondern dessen Patenkind Henry Bodrugan, Ottos ältester Sohn und Joannas Neffe. Sir John Carminowe hielt sich vorsichtig im Hintergrund, ein Taschentuch über dem Mund. Der junge Mann hatte offenbar hohes Fieber und versuchte mehrmals, sich aufzurichten. Er rief nach seinem Vater, während der Mönch ihm den

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