Ein Tropfen Zeit
Lieblingsgrundsatz: Es ist immer leichter, Gäste – auch unwillkommene – draußen zu unterhalten.
Der eigentliche Prüfstein der Geselligkeit würde der kommende Abend sein, und er wurde es. Bill hatte eine Flasche Bourbon-Whisky mitgebracht (ein Gastgeschenk für uns), und ich holte Eis aus dem Kühlschrank. Der Muscadet, den wir zum Abendessen tranken, ergab zusammen mit dem Bourbon eine ziemlich starke Mischung, und während in der Küche das Geschirrwasser ablief, begaben wir uns nach dem Essen ziemlich angeheitert ins Musikzimmer. Über mein blutunterlaufenes Auge brauchte ich mir keine Gedanken zu machen. Bills Augen waren beide so geschwollen, als käme er von einem Boxkampf, und unsere Frauen waren erhitzt wie Bardamen in einer anrüchigen Hafenkneipe.
Ich ging zum Grammophon und legte einen Haufen Schallplatten zurecht – es kam nicht so sehr darauf an, was es war, solange das Geräusch nur seinen Zweck erfüllte und die Gesellschaft zum Schweigen brachte. Vita trank im allgemeinen mäßig, aber wenn sie ein Glas zuviel geleert hatte, empfand ich sie als peinlich. Ihre Stimme wurde abwechselnd schrill und wieder honigsüß. An diesem Abend galt der süße Ton Bill, der sich durchaus nicht abgeneigt zeigte und sich neben ihr auf dem Sofa rekelte, während Diana neben sich auf das andere Sofa wies und mich mit vielsagendem Lächeln dorthin zog.
Ich bemerkte mit Widerwillen, daß die beiden Frauen dieses Manöver vorher ausgeheckt hatten und daß die Partner getauscht werden sollten – wobei es allerdings nie zum ›Letzten‹ kam. Es langweilte mich unsäglich. Ich wollte ins Bett gehen, und zwar allein.
»Erzähl mir was«, bat Diana so dicht an meinem Ohr, daß ich meinen Kopf abwenden mußte. »Ich möchte etwas von deinem hochinteressanten Freund Professor Lane erfahren.«
»Einen ausführlichen Bericht über seine Tätigkeit?« fragte ich. »Vor ein paar Jahren stand in der Zeitschrift für Biochemiker ein sehr instruktiver Artikel über einige Gesichtspunkte seiner Arbeit. Das mußt du mal lesen.«
»Sei nicht so blöd. Du weißt ganz genau, daß ich kein Wort davon verstehen würde. Ich möchte wissen, wie er als Mann ist. Was für Hobbys er hat und wer seine Freunde sind?«
Hobbys … Ich dachte über das Wort nach. Es beschwor das Bild eines zerstreuten alten Trottels mit einem Schmetterlingsnetz herauf.
»Ich glaube nicht, daß er außer seiner Arbeit Hobbys hat«, sagte ich. »Er hört gern Musik, besonders Kirchenmusik, gregorianischen Gesang und einstimmige Chöre.«
»Und das verbindet euch, die Liebe zur Musik?«
»So fing es an. Wir saßen eines Abends in King's College, als Weihnachtslieder vorgetragen wurden, zufällig in der gleichen Reihe.«
In Wirklichkeit waren wir nicht wegen der Weihnachtslieder hingegangen, sondern um einen Chorknaben mit einer Aureole von goldenem Haar anzustarren, der wie ein kleiner Engel aussah. Aber obwohl wir uns zufällig getroffen hatten, sahen wir uns von nun an häufig. Nicht, daß ich an Chorknaben besonderen Gefallen hatte, aber die Verbindung der heiligen Unschuld mit gregorianischen Chorälen empfanden wir als Zwanzigjährige ästhetisch so reizvoll, daß wir noch einige Tage danach ganz bezaubert waren.
»Teddy hat mir erzählt, im Kellergeschoß sei ein abgeschlossener Raum voller Affenköpfe. Wie herrlich gruselig.«
»Es handelt sich nur um einen Affenkopf, um es genau zu sagen«, erwiderte ich, »und andere Körperteile in Spiritus. Höchst giftig, man darf sie nicht anrühren.«
»Hörst du, Bill?« fragte Vita auf dem anderen Sofa. Ich sah mit Widerwillen, daß er seinen Arm um sie gelegt hatte und sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte. »Dieses Haus ist auf Dynamit gebaut. Eine falsche Bewegung, und wir fahren zum Himmel.«
»Irgendeine Bewegung?« erkundigte sich Bill mit einem komplizenhaften Augenzwinkern zu mir herüber. »Was geschieht, wenn wir ein bißchen näher zusammenrücken? Wenn der Dynamit uns beide ins obere Stockwerk schleudert, soll es mir recht sein, aber ich frage Dick doch lieber erst um Erlaubnis.«
»Dick bleibt hier«, sagte Diana, »und wenn der Affenkopf explodiert, dann könnt ihr beide hinauffahren, und Dick und ich lassen uns nach unten fallen. So sind denn alle zufrieden, aber in verschiedenen Welten. Nicht wahr, Dick?«
»Gewiß«, sagte ich zustimmend. »Ich habe ohnehin genug von dieser Welt. Wenn ihr euch zu dritt oben im Schlafzimmer zusammentun wollt, nur zu, und amüsiert euch gut.
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