Ein Tropfen Zeit
goß mir einen Drink ein; Vita kam mir nach. Die Jungen liefen hinunter und holten den Koffer.
»Also wirklich«, sagte sie, »ich habe von deinem Professor mehr Rücksicht erwartet. Zuerst nimmt er einen anderen Zug, dann steigt er um, und schließlich erscheint er überhaupt nicht. Ich nehme an, er hat in Par ein Taxi gefunden und ist irgendwo essen gegangen.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Aber warum ruft er dann nicht an und sagt Bescheid?«
»Er ist dein Freund, Liebling, nicht meiner. Du müßtest seine Gewohnheiten kennen. Nun, ich warte nicht länger, ich bin am Verhungern.«
Die ungebratene Makrele wurde für Magnus' Frühstück zurückgelegt, obwohl ich ziemlich sicher war, daß ihm Orangensaft und schwarzer Kaffee lieber waren, und Vita und ich verzehrten hastig eine Wildpastete, die sie aus London mitgebracht und im Kühlschrank vergessen hatte. Inzwischen versuchte Teddy, den Bahnhof in Par zu erreichen, aber umsonst. Es meldete sich niemand.
»Weißt du was«, sagte er, »vielleicht ist der Professor gekidnappt worden – von einer Bande, die Geheimdokumente sucht.«
»Sehr möglich«, sagte ich. »Ich gebe ihm noch eine halbe Stunde, dann rufe ich Scotland Yard an.«
»Oder er hatte einen Herzanfall, als er Polmear Hill hinaufstieg«, meinte Micky. »Mrs. Collins hat mir erzählt, ihr Großvater sei vor dreißig Jahren gestorben, als er den Bus verpaßte und zu Fuß rauf gehen mußte.«
Ich schob meinen Teller beiseite und trank den letzten Tropfen Whisky aus.
»Du schwitzt ja schon wieder, Liebling«, sagte Vita. »Ich kann es dir nachfühlen. Aber meinst du nicht, es wäre ganz gut, wenn du ein frisches Hemd anzögest?«
Ich verstand ihren Wink und ging nach oben, blieb aber auf der Treppe stehen und blickte ins Gästezimmer. Warum hatte Magnus nicht angerufen und gesagt, was er vorhatte, oder wenigstens eine schriftliche Nachricht hinterlassen, anstatt dem Aufseher nur mündlich etwas auszurichten, was dieser bestimmt falsch aufgeschrieben hatte? Ich zog die Vorhänge zu und schaltete die Nachttischlampe an, so daß das Zimmer recht behaglich aussah. Magnus' Koffer stand auf dem Stuhl am Fußende des Bettes, und ich probierte den Schließhaken. Zu meiner Überraschung sprang er auf.
Magnus pflegte im Gegensatz zu mir seinen Koffer ordentlich zu packen. Ein himmelblauer Schlafanzug und ein Morgenrock aus der Bond Street lagen unter einer Schicht von Seidenpapier, daneben blaue Schlafzimmerpantoffeln im Zellophanbeutel. Ein paar Anzüge, dann Wäsche. Nun, Kilmarth war weder ein Hotel noch eine Luxuswohnung – er konnte selbst auspacken. Die einzige freundliche Geste des Gastgebers gegenüber dem Gast – oder umgekehrt? – wäre, den Schlafanzug auf das Kissen und den Morgenrock über den Stuhl zu legen.
Ich nahm beides aus dem Koffer und fand darunter einen langen, hellbraunen Umschlag, darauf stand in Schreibmaschinenschrift:
›Otto Bodrugan. Urkunde und Königlicher Erlaß, 10. Oktober, Eduard III. (1331)‹
Der Student hatte also weiter nachgeforscht. Ich setzte mich auf den Bettrand und öffnete den Umschlag. Es war die Abschrift eines Dokumentes, auf dem die Namen der einzelnen Gutshöfe und Ländereien verzeichnet waren, die Otto Bodrugan zur Zeit seines Todes besaß. Dazu gehörte der Gutshof Bodrugan, für den Otto anscheinend eine Pacht an Joanna entrichtete. ›Witwe Henrys de Campo Arnulphi‹ (das bedeutete wohl Champernoune). Es folgte ein weiterer Absatz: »Sein Sohn Henry, im Alter von etwas über zweiundzwanzig Jahren, war sein nächster Erbe; er starb drei Wochen nach seinem Vater, so daß er das oben genannte Erbe nicht in Besitz nahm und auch nicht vom Tode seines Vaters erfahren hatte. William, ebenfalls Sohn des oben genannten Otto und Bruder des genannten Henry, am Morgen des letzten St. Veitsfestes zwanzig Jahre alt, ist sein nächster Erbe.«
Es war ein seltsames Gefühl, hier auf dem Bett zu sitzen und etwas zu lesen, wovon ich bereits wußte. Die Mönche in der Priorei hatten für Henry ihr Bestes oder vielmehr ihr Schlimmstes getan, und er war nicht durchgekommen. Ich war froh, daß er wenigstens nichts mehr vom Tod seines Vaters erfahren hatte.
Ich fand noch eine Liste des Eigentums, das Henry von Otto geerbt hätte, wenn er am Leben geblieben wäre. Die Liste schloß: »Westminster, 10. Okt. 1331. Befehl an den Bevollmächtigten diesseits des Trent, die ehemaligen Ländereien des verstorbenen Lehnsmannes Otto Bodrugan dem König zu
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