Ein tüchtiges Mädchen
weißt!“
Beide hatten gereizte Stimmen. Beide waren nervös. Beide hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Beider Nerven befanden sich in Hochspannung.
Sie hatten Stavanger am Abend zuvor verlassen, und nun befanden sie sich mitten in der Nordsee. Hin und wieder überrollte eine Woge das Vorderdeck, und „Babette“ stampfte durch die See.
„Ich bin froh, daß ich nicht seekrank bin“, sagte Gerd.
„Ich auch. Da hättest du mir leid getan. Du Ärmste, eine sehr vergnügliche Tour ist das nicht für dich, denn du mußt nun in Einzelhaft in der Kabine sitzen. Wenn du aber nach oben willst, so sage es nur. Du bist stets willkommen.“
„Danke. Aber vorerst bleibe ich in meiner Kabine und schlage hundertzwanzig Maschen auf mit der Landwolle aus Stavanger.“
„Gut, gut. Ich muß wieder hinaufkraxeln. Wenn du etwas brauchst, hast du ja Krauskopf, nicht wahr?“
Gerd seufzte. Sie versuchte „Seebeine“ zu machen und so den Bewegungen des Schiffes zu folgen. Sie hielt sich fest, zielte auf die Tür und konnte in den Gang und in ihre Kabine gelangen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Und nun saß sie da und wickelte seufzend Wolle auf.
Sie hatte zu nichts rechte Ruhe. Sie strickte ein paar Reihen, legte die Arbeit beiseite, las ein Kapitel in einem ihrer Kriminalschmöker, um zu merken, daß sie keine Ahnung von dem Gelesenen hatte. Sie warf einen Blick hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Seegang war stärker geworden, und der Wind heulte richtig im Tau werk.
Puh, wie eng und warm es in der Kabine war! Nicht an Deck gehen, hatte Helge gesagt. Blödsinn! Sie konnte sich doch festhalten. Unbedingt mußte sie frische Luft haben. Konnte doch nicht stur den ganzen Tag in dieser kleinen Mausefalle sitzen.
Sie zog einen Regenmantel und Gummistiefel an und band sich ein Tuch um den Kopf.
Dann gelangte sie mit viel Mühe durch den Gang bis zur Tür des Vorderdecks.
Der Wind schlug ihr entgegen und nahm ihr fast die Puste weg. Aber wie frisch er war! Sie blieb in der Türöffnung stehen und hielt sich fest. Und sie sah auf die weißgekrönten Wogen, die sich vor dem Bug aufrichteten und ihren perlenden Schaum über „Babette“ ergossen.
Dieser weißperlende Schaum tat es Gerd an. Herrlich mußte es sein, da vorne zu stehen wie eine lebende Gallionsfigur! Dazustehen, sich an dem dicken Drahtseil festzuhalten und sich von dem perlenden Schaum überspülen zu lassen!
Vielleicht hätte Gerd es nicht getan, wäre sie nicht so vollkommen aus ihrem gewohnten Gleichgewicht gebracht worden. Vielleicht hätte sie es nicht getan, würde Helge es nicht verboten haben. Sie fühlte eine Art Trotz, den sie sich selbst nicht erklären konnte.
Und dieser Trotz nahm überhand, gewann immer mehr Kraft über sie. Vielleicht war Helge gerade auf der Brücke und würde sie sehen, wenn sie die paar Meter vorwärts sprang, ganz nach vorn, bis sie in der schäumenden Brause stand. Sie wollte ihm zeigen, daß sie kein Porzellanpüppchen war.
Sie wartete, bis „Babette“ in ein Wellental hinabtauchte. Jetzt! Jetzt mußte sie die wenigen Sekunden nützen, ehe die nächste Welle kam. Jetzt!
Sie hatte keine Ahnung, daß das Deck so schlüpfrig war. Es war vom Seewasser glitschig. Und da lag Gerd auch schon auf der Nase. Als sie aufstehen wollte, rauschte eine noch viel höhere Woge über „Babettes“ Vorschiff. Das war keine frische Brause, die Gerd nun umsprudelte. Kaskaden kalter grüner Nordsee überschütteten sie und spülten sie gegen die niedrige Bordwand. Sie griff um sich, suchte nach etwas, um sich daran festzuhalten, wurde erneut gegen die Reling geschlagen. In einer Schrecksekunde erkannte sie, wie niedrig die war, so furchtbar niedrig! Das war bestimmt kein Promenadendeck. Und dann schrie sie.
Der Schrei erstickte in Wind und Wellengebraus. Aber jetzt rührte sich da etwas neben ihr. Sie schlug die Arme darum. Dann hörte sie eine Stimme.
„Laß mein Bein los, du Idiot!“ Zwei Hände ergriffen ihre Arme, zogen sie empor, und sie wurde hart und unsanft durch die Tür geschoben. Eine Hand packte sie im Nacken, schleppte sie in die Kabine des Kapitäns, und dann standen sie einander gegenüber, er auf seinen geübten Seemannsbeinen, während sie sich an den festgeschraubten Tisch klammerte.
Beide waren triefend naß, beide feuerrot im Gesicht.
„Wenn das noch mal vorkommt“, sagte Helge, und seine Augen blitzten, „dann lege ich dich ganz einfach übers Knie, daß du es weißt, und was ich
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