Ein tüchtiges Mädchen
Geschäftigkeit.
Sie stand in Helges Kabine und hielt durch das Bullauge Ausschau nach ihm. Krauskopf hatte zum Abendessen gedeckt, und jetzt wartete sie nur auf Helges Kommen.
Die Tür hinter ihr ging auf, und da stand er, groß und blauäugig. Gerade so erinnerte sich Gerd an ihn in vielen kommenden Wochen: groß, lächelnd, mit diesem warmen, liebevollen Ausdruck in den Augen.
„So, jetzt sind wir bald fertig. Hast du noch ein bißchen Geduld, Gerd? Oder stirbst du schon vor Hunger?“
„Ach, ich halte es schon noch eine Weile aus.“
„In einer kleinen halben Stunde machen wir los. Gleich, wenn wir aus dem Hafen heraus sind, lassen wir Andersen und ,Babette’ allein weiterwursteln. Und dann – “
Die Tür hinter ihnen wurde geöffnet. Sie wandten sich um – und plötzlich wurde Helge ganz steif, und alle Farbe verschwand aus seinem Gesicht.
Herein kam eine junge Dame, eine auffallend hübsche junge Dame mit lebhaften braunen Augen, mit einem kecken kleinen roten Hut und einem kecken roten Mündchen.
„Hallo, Helge! Das hast du nicht erwartet, wie?“
Er befeuchtete die Lippen und blieb steif und stumm stehen.
„Na, hat’s dir die Sprache verschlagen? Ganz einfach: Ich bekam vom Reeder die Erlaubnis, hier an Bord zu gehen und bis Kristiansand mitzufahren. Du ahnst ja nicht –! Ich bin bis oben hin vollgepfropft mit Neuigkeiten, die ich durchaus und gleich erzählen muß – Willst du mich übrigens nicht vorstellen, Helge?“
Helge schluckte und schluckte erneut.
Als er endlich sprach, erkannte Gerd seine Stimme nicht wieder.
„Das ist – das ist unser Passagier, Fräulein Elstö, und dies ist Fräulein Böe – Erna Böe.“
Ein lächelndes Gesicht unter dem roten Hut. Eine schmale kleine Hand, mit Nägeln wie funkelnde Rubine, wurde Gerd gereicht. Sie nahm sie mechanisch.
Aber der Blick unter dem roten Hut war nicht auf sie gerichtet. Erna Böe schaute seitwärts zu Helge auf. Und ihm galten auch die Worte, Worte, die mit einem schelmischen Lächeln gesagt wurden, mit heller Stimme, aber mit einem sonderbaren, sehr bestimmten Beiklang: „So heißt das doch nicht, Helge. Meine Verlobte Erna Böe, heißt das.“
13
Wennman sich in der Phantasie fürchterliche Situationen ausmalt oder wenn man gefragt wird, was würdest du tun, wenn dies oder das passierte, da kann man so leicht sagen: „Gott, da würde ich ohnmächtig werden“ oder „Da würde ich sterben“.
Wenn es aber geschieht, so entdeckt man, daß es nicht so leicht ist zu sterben, und eine barmherzige Ohnmacht, die den Schrecken für eine Weile von einem nehmen würde, die findet sich auch nicht ein.
Man bleibt stehen, wird rot oder blaß, man fühlt das Herz einen Augenblick aussetzen oder wie wild schlagen, aber man steht und entdeckt zu seiner eigenen unbeschreiblichen Verwunderung, wie schrecklich stark die angelernte Beherrschung und die Wahrnehmung gewöhnlicher Höflichkeit ist, wie fest verankert die Angst, einen Skandal zu provozieren.
Erna Böes Worte schlugen gegen Gerds Trommelfelle. Ihnen folgte eine Pause, eine atemlose Pause, in der die Zeit stillzustehen schien, in der die Stille sich wie ein Eispanzer um Gerd legte. Und dann hörte Gerd zu ihrem unbeschreiblichen Erstaunen, wie ihre Zunge von selbst die leeren Worte formte, die als Antwort erwartet wurden, wenn jemand vorgestellt wurde. „Sehr angenehm – “
Und sie wartete, wartete auf Helges Gelächter. Auf eine scherzhafte Bemerkung, wie „Nein, jetzt hör aber auf mit dem Unsinn, Erna.“ Aber die kam nicht. Gerd bemerkte zwar eine Bewegung bei Helge, als ob er etwas sagen wolle, aber es folgte kein Wort.
Gerds Augen hatten Erna Böes nette kleine Gestalt in dem weiten blauen Lodenmantel eingefangen.
Und dann blieb ihr Blick an der Tasche in Ernas Hand hängen.
Die blaue Tasche, die Helge in Hamburg gekauft hatte!
Es war Erna, die als erste das Schweigen brach.
„Warten Sie mal – Elstö? Elstö! Aber meine Liebe, dann sind Sie ja wohl die kleine Gerd, nicht wahr, die kleine Schwester von Solveig! Stimmt’s?“
„Ja“, erwiderte Gerds tonlose Stimme.
„Kannst du dich denn nicht an mich erinnern, Gerd? Ich ging doch in der Grundschule in dieselbe Klasse mit Solveig. Erinnerst du dich nicht, wie wir bei dir daheim saßen und Papierpuppen ausschnitten? Und du hast mir den feinsten Puppenmann geklaut!“
Mitten in dem wahnsinnigen Wirbel der Gedanken, der in Gerds Kopf kreiste, stieg eine Erinnerung auf: eine kleine,
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