Ein tüchtiges Mädchen
Goldledertapeten und wurde zum erstenmal in ihrem Leben von einem leibhaftigen Diener bedient. An ihrer linken Seite hatte der Baron Platz genommen und machte in seiner feinen, altmodischen Kavaliersart die Honneurs, zu ihrer Rechten saß die Baronin, eine zarte kleine Dame von ungefähr fünfzig Jahren, und gegenüber Michael mit dem dunklen Haar und den etwas schwermütigen Augen.
Es war ein phantastisches Erlebnis für Gerd, Einblick in ein solches Heim zu bekommen und diese Menschen kennenzulernen, die die verfeinerte Kultur vieler Generationen in ihren Stimmen, ihren Manieren, in ihrem korrekten und dabei doch so angenehm ungezwungenen Wesen spiegelten.
„Wir wohnen ja etwas abseits“, erklärte die Baronin, „und freuen uns immer über jeden frischen Windhauch von draußen.“
Ihre Augen weilten oft und wohlwollend auf dem jungen norwegischen Mädchen. Einen Augenblick traf ihr Blick den ihres Mannes, und sie las Verständnis in ihm. Die Freundlichkeit Gerd gegenüber wurde womöglich noch größer.
Erst viel später wurde es Gerd klar, warum sie so herzlich aufgenommen worden war und warum der Baron so lange zögerte, über Geschäfte mit ihr zu reden. Aber als ihr diese Erkenntnis aufging, war schon allerhand geschehen.
Gerd war mächtig beeindruckt. Der junge Michael hatte von seinem Vater den Auftrag bekommen, den Gast überall herumzuführen, „drinnen und draußen“, wie der Baron lächelnd gesagt hatte.
Sie hatten nun die Ställe gesehen, die Hunde begrüßt und waren an endlosen Äckern entlanggegangen, die gerade die letzte Herbstpflügung erhielten.
„Den Wald besichtigen wir nach dem Tee“, erklärte Michael. „Dorthin ist es so weit, daß wir das Auto nehmen müssen oder Pferd und Dogcart, ganz wie Sie wollen.“
Dann gingen sie durch den Park zurück, und Michael erzählte, daß er das einzige Kind sei und sein Vater es etwas schwierig finde, sich mit Michaels großem Interesse für das Malen zu versöhnen.
„Vater betrachtet das mehr oder weniger als ein unnützes Hobby“, erklärte er mit einem kleinen Lächeln. „Daß ich die Malerei tatsächlich ganz gut beherrsche, macht weiter keinen Eindruck auf ihn. Wenn ich an einer Gemäldeausstellung teilnehme, und Vater liest etwas Lobendes über mich in der Zeitung, sagt er hm und sonst nichts.“
„Der Herr Baron hatte wohl andere Pläne mit seinem einzigen Sohn“, meinte Gerd.
„Ja, so ist es. Ich sollte mit Leib und Seele im Gut, dem Wald und dergleichen aufgehen. Eines Tages werde ich das auch tun müssen, denn ich bin ja der einzige Erbe. Nicht nur der einzige Sohn, sondern auch der einzige meiner Generation. Mit mir steht und fällt die Zukunft der Familie Silfverkranz. Das liegt ein bißchen schwer auf meinen schwachen Schultern.“ Er sagte es lächelnd, aber hinter den munteren Worten lag ein gewisser Ernst.
Beim Tee versuchte Gerd erneut, auf die Geschäfte zu kommen, doch wieder schob der Baron dies Thema beiseite.
„Wir haben doch genügend Zeit vor uns, kleiner Bürochef“, lächelte er. „Aber ich verspreche Ihnen bestimmt, daß wir nach dem Essen die Sache in Angriff nehmen werden.“
„Nach dem Essen? Aber Herr Baron…“
Jetzt schaltete sich die Baronin in das Gespräch ein.
„Ja, Sie sind natürlich während dieser Tage in Schweden unser Gast, nicht wahr? Sie sehen doch, das Haus ist groß genug, Sie aufzunehmen!“
„Das versteht sich von selbst“, sagte der Baron, bevor Gerd ein Wort äußern konnte. „Wo haben Sie Ihr Gepäck, Fräulein Elstö? Im Gasthaus im Dorf? Meine Güte! Michael, du nimmst den Zweisitzer und fährst Fräulein Elstö dorthin, um den Koffer zu holen und das Zimmer abzubestellen.“
„Mit Freuden“, sagte Michael, und Gerd saß wie gelähmt da. Sie wußte weder aus noch ein.
Sie kritzelte einen kurzen Brief an Myrseth, erklärte ihm die seltsame Lage der Dinge und fragte, was sie wohl tun solle. Es schien sehr schwierig, den Baron zur Eile anzutreiben.
Der Koffer wurde geholt und Gerd in ein Gästezimmer einquartiert, wie sie es bisher höchstens im Film gesehen hatte.
Sie kniff sich selbst in den Arm, stand da, blinzelte und verstand gar nichts.
Die Baronin kam persönlich und erkundigte sich, nett und liebenswürdig, ob Fräulein Elstö auch alles habe. Wenn sie etwas wünsche, solle sie nur – Und vielleicht würde es nun heute doch zu spät für die Fahrt in den Wald. Das könne ja auch gut bis morgen warten, denn vielleicht sei Fräulein Elstö müde von der
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