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Ein tüchtiges Mädchen

Ein tüchtiges Mädchen

Titel: Ein tüchtiges Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Menschen zu lesen. Sie hatte auch nur die Überschrift gelesen und dann den Brief in heller Panik wieder zusammengefaltet. Nun saß sie da, mit Tränen im Hals, und ihr Herz war bis in die Kniekehlen abgesackt.
    Was würde Fräulein Elstö sagen, nein, was würde sie bloß sagen!
    Ihre Worte von neulich klangen ihr noch immer im Ohr: „Das ist die letzte Warnung. Wenn so etwas noch mal vorkommt, sind sie hier fertig.“
    Fräulein Genz legte den Brief, völlig kopflos, in ihre persönliche Schublade zu der Puderdose, den Haarklammern und der Bonbontüte. Was sollte sie nur tun, mein Gott, was sollte sie tun?
    Sie raffte den Rest der Post zusammen, der ihrer Meinung nach den Direktor anging, und legte die anderen Briefe auf Gerds Schreibtisch, während ihre armen, hilflosen, kleinen grauen Gehirnzellen unter Hochdruck arbeiteten. Was sollte sie bloß tun?
    Sie betrachtete den Umschlag erneut. Unmöglich, den wieder zusammenzukleben. Fräulein Genz hatte, unter vielen anderen, den Fehler, Briefe aufzureißen, statt sie hübsch ordentlich mit dem Brieföffner aufzumachen.
    Aber – aber –, es begann ihr zu dämmern: Konnte sie nicht auf der Maschine einen neuen Umschlag schreiben? Wo war der Brief abgestempelt? Wenn er nur hier aus der Stadt wäre! Ach nein, er kam aus Oslo. Großer Gott! Aber – warte mal! Wenn sie nun den Brief in einem anderen Umschlag an ihre Kusine in Oslo schickte und sie bat, ihn dort aufzugeben? Ja, das konnte sie tun! Es war der einzige Ausweg.
    Also stürzte sich Fräulein Genz auf die Schreibmaschine und schrieb Gerds Namen samt Adresse auf einen neuen Umschlag. Und „persönlich“ in die eine Ecke. Dann steckte sie den Brief in die Tasche. Heute abend mußte sie an Kusine Eva schreiben.
    Sie fühlte sich nun stark erleichtert. Fräulein Elstö würde ihren Brief bekommen, wenn auch mit einigen Tagen Verspätung. Und sie selbst war gerettet.
    Jetzt war es zehn Uhr, und Fräulein Elstö trat ins Büro. Gleich darauf saß sie über ihren Schreibtisch gebeugt, blaß und schmal und schweigsam.
    „Hören Sie mal, Fräulein Elstö.“
    „Ja, Herr Direktor?“
    „Ich muß Sie wieder um Ihre Hilfe bitten. Ich weiß mir tatsächlich keinen anderen Rat. Wollen Sie hinfahren und mit Baron Silfverkranz sprechen?“
    „Ist das Ihr Ernst, Herr Direktor?“
    „Ja, mein voller Ernst. Ich hatte soeben ein Telefongespräch mit meinem Sohn. Er sitzt da oben in Gudbrandsdalen und sagt, wir müssen einfach Silfverkranz als Lieferanten gewinnen und die Sache noch hinkriegen, bevor das Baumfällen im Winter beginnt. Also fahren Sie zu ihm, und reden Sie mit ihm. Sie wissen, wieviel es bedeutet, mit diesen Leuten ins persönliche Gespräch zu kommen. Tun Sie es nicht, so kommt uns vielleicht ein Konkurrent zuvor, und wir sind die Dummen.“
    „Aber was ist denn eigentlich unklar, Herr Direktor?“
    „Der Preis. Ich finde unser Angebot wirklich gut, aber statt es anzunehmen oder abzulehnen, geht er wie die Katze um den heißen Brei und schreibt über eine Menge nicht dazugehöriger Dinge. Ach ja, Sie haben doch die Korrespondenz durchgesehen. Bitte, hier ist die letzte Zuschrift, heute gekommen.“
    Gerd las den höflichen schwedischen Brief auf handgeschöpftem Bütten mit Stahldruck, um bei sich zu entscheiden: Wenn jemals eine persönliche Besprechung am angebrachtesten war, so hier.
    „Schön, ich werde fahren. Wenn es mir nun aber nicht gelingt, den Baron mürbe zu machen?“
    „Sie kriegen das schon fertig! So wie ich Sie kenne, erreichen Sie auf jeden Fall einen Entscheid. Können Sie schon morgen reisen?“
    „Ja, natürlich.“
    „Fein. Ich werde Throndsen beauftragen, die Fahrkarte zu besorgen. Sie sind ein wirklicher Nothelfer, Fräulein Elstö – “
    „Das ist noch nicht ganz raus“, sagte Gerd und lächelte schwach.
    Wer einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstieß, das war Fräulein Genz. Wenn Fräulein Elstö zurückkam, sollte ihr Brief hübsch und ordentlich auf ihrem Schreibtisch liegen, mit Stempel von Oslo und mit genau der gleichen Aufschrift wie der Umschlag, den sie in kleine Stücke zerrissen und auf der Toilette dem rauschenden Wasser anvertraut hatte.
    Von Baron Silfverkranz kam ein Telegramm: Eine Besprechung mit einem Vertreter des Direktors würde ihm sehr angenehm sein.
    Also packte Gerd wieder ihren Koffer und fuhr nach Schweden.
    Auf dem Boden des Koffers, in der äußersten Ecke, lag die Katze Dorette.

15
     
     
    Als Gerd den Busfahrer nach Högalind, dem

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