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Ein tüchtiges Mädchen

Ein tüchtiges Mädchen

Titel: Ein tüchtiges Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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auf Högalind; die gönne ich Ihnen. Ich weiß nämlich sehr gut, daß ich Sie um zwölf Tage im Sommer betrogen habe. Die Tour nach Newcastle als Ferien zu betrachten erlaubt mir mein Gewissen nicht. Erstens leisteten Sie dort erstklassige Arbeit, zweitens sahen Sie so elend aus bei Ihrer Rückkehr, daß ich es als eine persönliche Erleichterung empfinden würde, hätten Sie nun wirklich so eine Art von Ferien. Außerdem habe ich auch das Gefühl, daß der Vertragsabschluß mit unserem lieben Baron in Ordnung kommt. Sagte ich Ihnen nicht, er habe eine Injektion mit dem Präparat Elstö nötig? Wenn Sie mit dem kostbaren Papier heimkommen, spielt es keine Rolle, ob Sie dazu eine Woche mehr oder weniger gebraucht haben.
    Also bleiben Sie, solange der Baron Sie festhält, genießen Sie das Dasein, essen und schlafen Sie gut.
    Natürlich vermissen wir Sie im Büro, aber Throndsen ist sowohl tüchtig als auch intelligent, und die kleine Genz macht sich allmählich auch, also werden wir uns schon behelfen. Ich habe die kleine Genz gebeten, eventuelle Post an Sie nachzuschicken.
    Mit besten Grüßen Ihr
    K. Myrseth.“
     
    Gerd lächelte: Sie hatte doch wirklich einen gütigen Chef, und hätte es ein wenig anders in ihrem Herzen ausgesehen, ja, dann würde sie sich für ein wahres Glückskind gehalten haben.
    Nie hatte sie von einer derartigen Gastfreundschaft geträumt, wie sie sie hier auf Högalind erlebte. Der Baron war so einfach und natürlich in seinem altmodischen chevaleresken Auftreten und die Baronin geradezu mütterlich in ihrer Fürsorge für den jungen Gast. Und Michael…
    Gerd war eine Frau. Und sie war sich ganz klar darüber, daß es nicht nur Höflichkeit und Gastlichkeit dem Besuch gegenüber waren, die Michael bewogen, sie im Auto oder im Dogcart herumzufahren, ihr tausenderlei zu erzählen und ihr sein Atelier zu zeigen, das er sich in der Mansarde des einen Gebäudeflügels eingerichtet hatte.
    Was aber veranlaßte das Ehepaar, ihr so viel herzenswarme Freundlichkeit zu zeigen? Es war sonnenklar, daß sie restlos begeistert waren, sie hier zu haben, sie, die kleine Gerd, die aus ihrem bescheiden möblierten Zimmer kam. „Möbl. Zi. m. Küch. - Benutz, in ruh. Haus“, wie es in der Zeitungsannonce gestanden hatte.
    Dann schüttelte Gerd die Probleme ab. Myrseth wollte, daß sie blieb, der Baron und seine Familie wünschten, daß sie ihren Besuch ausdehnte, sie war verpflichtet zu bleiben, bis diese Vertragsangelegenheit in Ordnung war – also blieb sie eben und genoß diese Tage, so gut sie nur konnte.
    Es kam Post für sie. Briefe von Mutter und Solveig und ein Gruß ihrer Wirtin, aber der eine Brief, auf den sie wartete, der kam nicht. Und die Hoffnung, die sie gehegt hatte, die Hoffnung auf eine Erklärung, diese unwahrscheinliche, allzu optimistische Hoffnung, die wurde geringer und immer geringer, bis sie schließlich in sich zusammensank und erstarb.
    In dem äußeren Büro bei Myrseth und Sohn saß Fräulein Genz mit Magenschmerzen vor Angst und Spannung. Das kleine Intelli-Genzchen hatte nicht bedacht, daß, überließ man es einem anderen Menschen, einen Brief aufzugeben, das Schicksal dieses Briefes unsicher ist. Sie ahnte nicht, daß Kusine Eva in Oslo den Brief in ihren Regenmantel gesteckt und dabei gedacht hatte, „den werfe ich in den Kasten, wenn ich in die Stadt gehe“, und sie ahnte nicht, daß der Brief vergessen in der Tasche lag, als Kusine Eva ihren Regenmantel aufhängte und ihren Sealkanin anzog. Als Fräulein Genz schließlich einen ängstlichen Fragebrief absandte, da runzelte Kusine Eva die Brauen und dachte, „diesen Brief habe ich doch längst in den Kasten gesteckt!“ Sicherheitshalber sah sie in ihrer braunen Lederhandtasche, der roten Schultertasche und in der neuen Plastiktasche noch mal nach, aber kein Brief war zu finden. Also mußte sie ihn fortgeschickt haben, und das schrieb sie auch an ihre Kusine bei Myrseth und Sohn.
    Das kleine Fräulein Genz konnte nichts anderes tun, als sich zu grämen, zu schweigen und zu versuchen, ihr schwarzes Gewissen zu betäuben.
    Auf Högalind saß man im Gartenzimmer der Baronin beim Kaffee. Gerd amüsierte sich über einen der kleinen Wellensittiche, der deutlich eine Vorliebe für sie hatte. Er kam angeflogen, setzte sich auf ihre Hand und pickte Kuchenkrümel auf. Zwischendurch schwatzte und piepste er leise.
    Gerd wurde dieses Spiels mit dem schönen blauen Vogel nie müde, und die Baronin freute sich über Gerds

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