Ein tüchtiges Mädchen
recht angegriffen aus, als sie von einem langen Spaziergang zurückkam. Das war gestern, als es so stürmte. Ich gab ihr warmen Kamillentee und beorderte sie ins Bett. Heute nacht war ich dann einmal bei ihr, da lag sie unruhig und hatte hohes Fieber. Ich gab ihr Aspirin und eine Wärmflasche, aber am Morgen war ihr nicht besser, und als sie dann tagsüber zu phantasieren begann…“
„Na, wollen wir mal nachsehen“, sagte die ruhige Arztstimme. „Eine Penicillinspritze kann Wunder wirken, Baronin.“
Gerd lag und döste.
Sie murmelte, als der Arzt eintrat: „Das ist nicht wahr, Solveig.“ Und etwas später: „Du hältst mich bloß zum Narren, Solveig.“
„Ja“, sagte die Baronin. „So ging es vom frühen Morgen an. Sie redet die ganze Zeit von Solveig. Das ist ihre Schwester, soviel ich weiß. Vielleicht sollten wir ihr telegrafieren?“
„Nun ja, wir werden sehen. Natürlich wäre es gut für die kleine Dame, hätte sie einen von den Ihren bei sich. Das Fieber werden wir schon runterkriegen. Ja doch, es ist schon ein Anflug von Lungenentzündung! Aber das ist kein Problem mehr in unserer Zeit. Vielleicht kann Fräulein Klara die Daunendecke wegnehmen. So ja…“
Gerd reagierte nicht, als die Injektionsnadel von einer sicheren, geübten Hand eingeführt wurde.
Als der Arzt gegangen war, blieb die Baronin bei Gerd sitzen. Mein Gott, daß so etwas kommen mußte! Alles war doch so schön und gut gewesen! Michael war nach Stockholm gefahren, um die Sache mit dem Atelier und… dem anderen abzuwickeln…
Elin Silfverkranz war seit vielen Jahren nicht so glücklich gewesen wie in den letzten Tagen.
Und nun lag das kleine Wesen, das Sonnenschein und Glück nach Högalind gebracht hatte, mit trockenen Lippen und fieberheißen Wangen da und phantasierte.
Es war ja beruhigend, daß der Arzt dies für kein „Problem“ hielt, aber – Elin Silfverkranz hatte trotzdem Herzklopfen vor Angst.
Auf dem Tisch lag ein offener Umschlag mit der Rückseite nach oben; das Licht fiel auf Namen und Adresse des Absenders.
„Solveig Elstö.“
Die Baronin nahm den Brief. Sie wollte diese Schwester herbeiholen, nach der Gerd ständig rief. Vielleicht würde das die Patientin beruhigen.
Dann überließ sie es Klara, bei Gerd zu bleiben. Klara war eine geschickte und gewissenhafte Krankenpflegerin. Die Baronin ging in ihr Schlafzimmer, nahm den Hörer vom Telefon und gab ein Telegramm durch an die Architektin Solveig Elstö.
Das Penicillin wirkte. Am nächsten Morgen war Gerd klar im Kopf, aber entsetzlich müde und schlapp.
Eine schwache Röte stieg ihr in die Wangen, als die Baronin hereinkam.
„Nun, Kind, heute sehen Sie aber schon viel besser aus!“
„Ich schäme mich so“, flüsterte Gerd.
„Dazu haben Sie auch allen Grund. Sich vorzustellen, daß Sie in dieser Kälte auf einem Stein gesessen haben! Doch, ich weiß es, der Förster hat Sie gesehen. Sie sind wirklich ein unartiges kleines Mädchen und hätten eigentlich Haue verdient. Aber Gott sei Dank, heute geht es Ihnen schon besser. Gestern haben Sie uns einen ordentlichen Schreck eingejagt.“
„Es tut mir so leid…“
„Naja, Kind, beruhigen Sie sich nur. Nein, was soll denn das? Sie weinen doch nicht etwa? Soso, meine Liebe, jetzt ist ja alles gut. Bald kommt der Arzt, und vielleicht gibt er Ihnen noch eine Spritze. Sie werden sehen, in ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen, und wir werden Sie dann schon gesund pflegen.“
„Ja, das ist es ja gerade“, flüsterte Gerd, „daß Sie nun all diese Scherereien mit mir haben.“
„Nein hören Sie mal, jetzt gibt es aber gleich wirk- lieh Klapse. Was reden Sie denn da für Unsinn? Wir haben Platz genug und Bedienung genug, und wir sind nur zu froh, etwas für Sie tun zu können. Meine Liebe, es sieht Ihnen doch gar nicht ähnlich, so zu weinen, das hat Sie schon ordentlich mitgenommen. Jetzt wird Klara Ihnen ein frisches Bettuch geben, und dann wollen wir versuchen, ein bißchen zu essen. Und sehen Sie nur, was Sie von Michael bekommen haben!“
Es war ein wundervoller Blumenstrauß, der auf einem Tisch in der Mitte des Zimmers stand. Gerd lächelte durch ihre Tränen.
„Alle sind so gut zu mir…. und ich schäme mich, und es tut mir leid, daß ich im Sturm ausgegangen bin…“
Ihre Stimme klang kindlich – demütig wie die eines kleinen Mädchens, das unartig gewesen ist und es jetzt bereut.
„Sehen Sie, das ist gut, dann tun Sie es nicht wieder. Klara, Sie machen also
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