Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Zähne enthüllte und beinahe noch einmal soviel Zahnfleisch. Was für eine grobe, hartherzige Inspektion, dachte ich, aber auch, daß dies vermutlich die Art war, wie zwei Leute sich kennenlernten, um den Rest ihres Lebens miteinander zu verbringen, Nachbarn, bei denen man sich darauf verlassen konnte, daß sie einen endlos aufheiterten oder deprimierten, und von denen der eine, mit geringem Kummer, dem Begräbnis des anderen beiwohnen würde. Aber ich fand sie auch attraktiv und wollte deshalb, daß sie mich ebenfalls attraktiv fand auf eine Art, die die oben skizzierte Bestandsaufnahme ausschloß. Wobei, Gott sei Dank, Frauen nicht derart nach dem Äußeren gehen, außer vielleicht, wenn es um sie selbst oder eine andere Frau geht. Gegen Ende des Essens lockerte ich meinen Gürtel, unterdrückte ein Rülpsen und suchte noch einmal in der Sakkotasche nach meinem Magensäurehemmer.
»Sodbrennen«, sagte ich, inzwischen ein bißchen beschwipst. »Und da Sie fragen, einen fünf Zentimeter langen Leistenbruch.«
»Wie unangenehm.« Ich hatte keine Zeit, sie zu korrigieren. »Bei mir ist es der Rücken.«
»Wir haben alle unsere kleinen Beschwerden.«
»Ach, ich beschwere mich nicht. Ist ja nichts Ernstes. Treiben Sie Sport?«
»Wie edelmütig von Ihnen. Badminton, aber das ist schon sehr lange her.«
»Waren Sie gut?«
»O ja. Hab’s aufgegeben. Brachte es nicht mehr übers Herz. Nicht fair gegenüber den anderen. Was ist mit Ihnen?«
»Wie gesagt, es ist mein Rücken. Schon seit Jahren, seit ...«
»Die alte Leier: ausgeleierte Bandscheiben«, vermutete ich.
»Das sagt mein Arzt auch immer.«
»Aha«, erwiderte ich. Sie lächelte mich wieder freundlich an. »Golf spiele ich auch«, fügte ich hinzu.
»Das ist aber schön«, sagte sie.
So lernten wir uns also kennen. Wir trafen keine Verabredung für ein nächstes Mal. Die Begegnung versiegte einfach. Eine Müdigkeit kroch über sie, die meine eigene widerspiegelte. Sie alterte. Als ich zahlte, hielt sie sich ein Taschentuch vors Gesicht, schneuzte sich aber nicht, sondern hielt es nur dort. Als sie es wieder wegnahm, sah ich einen Augenblick der Verzweiflung in ihren Augen, aber sie schniefte, und er war wieder verschwunden.
»Das war sehr schön«, sagte sie. »Hat mich wirklich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite«, erwiderte ich.
Wir trennten uns vor der U-Bahn. Beim Händeschütteln verlängerten wir den Griff ein wenig, als wollten wir uns an irgendein verschwommenes Verständnis klammern, das wir voneinander hatten. Nur hier und so zusammenzusein, die Art, wie wir uns kennengelernt hatten, dachte ich, schenkte uns mehr Gemeinsames, als es je Trennendes zwischen uns stellen konnte. Wenn Sie uns gesehen hätten, hätten Sie gedacht: traurig aussehendes, gewöhnliches Paar, in deren Sternen steht nicht viel geschrieben. Was verdammt herablassend von Ihnen gewesen wäre. Ich sah zu, wie sie ihr Ticket kaufte und dann zur Rolltreppe ging, einsam und würdevoll. Dachte sie: Na, das war aber eine Enttäuschung, das mache ich nie wieder? Ich tat es, aber nicht sehr lange, nicht mehr, nachdem ich in einigen der Buchläden in diesem Teil der Stadt gestöbert hatte. Man braucht nicht lange, um wiederzuentdecken, daß Körper nicht alles sind, schon einiges, zumindest die meisten, aber nicht alles. Ich merkte, daß sie mir fehlte.
Das Gasfeuer flackert heute abend, und der Wind bläst heftig, bremst ihn doch nichts auf seinem Weg über das russische Ödland und die Nordsee. Sind da draußen noch kleine Schiffe, frage ich mich, triefend und schaukelnd, die Wellen wie Berge über ihnen, und werden heute nacht einige von ihnen untergehen? An solchen Abenden höre ich mir manchmal die Sturmwarnungen im Radio an und denke daran, was mein Vater sagte, als meine Mutter ihn erinnerte, daß der Laden kaum noch Wasser unter dem Kiel habe: »Denkt an jene, die in Schiffen das Meer befahren
und Handel treiben auf großem Wasser.« »Die Bibel hilft dir nichts, wenn du Rechnungen bezahlen mußt«, erwiderte sie. »Es ist aus dem Allgemeinen Gebetbuch«, murmelte er, steckte sich eine Zigarette an und schlurfte zur Flasche. Sie zuckte die Achseln. »So gewöhnlich, das ganze Knien und Nichtstun. Die ist noch dein Untergang, diese ganze Beterei.«
Aber ich darf mich nicht ablenken lassen. Ich lege eine Platte auf, die Maureen mir geschenkt hatte, als sie mich über ein Wochenende besuchte. Zu der Zeit hatte ich
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