Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
mit Niederlassungen in der ganzen Welt. Meine Aufgabe ist es, Tabellen und Diagramme zu produzieren, die Trends in Verkäufen und ähnlichem darstellen. Eine Agentur hat inzwischen einen Großteil dieser Arbeit übernommen, aber zum Glück ist das Wachstum der Firma deren Kapazität immer einen Schritt voraus, so daß genug Rechenarbeit übrigbleibt, um mich und mein Personal — einen Jugendlichen mit dem Namen Hipkin — beschäftigt zu halten oder zumindest so beschäftigt, daß wir beschäftigt wirken. Ich betreibe ein sehr effizientes System der Archivierung und Informationswiederbeschaffung. Oder genauer, ich habe es von meinem Vorgänger geerbt, und eigentlich muß ich nichts anderes tun, als es nicht bewußt zu vernachlässigen oder es zu manipulieren. Er hatte eine tiefsitzende Angst vor Kritik und daher die unerschöpfliche Fähigkeit, Mühen auf sich zu nehmen. Er starb kurz nach einem Zusammenbruch am Arbeitsplatz, als er entdeckte, daß eine Null in einigen Zahlen aus Hongkong fehlte, die er, mit einem Fragezeichen am Rand, vom Finanzdirektor zurückerhalten hatte. Die fehlende Null war die seine, nicht die meine — zum
Glück. Sonst hätte ich die Stelle nicht bekommen, er wäre allerdings auch nicht gestorben.
Der Titel meines Chefs ist Director of International Sales, Direktor für Internationale Verkäufe, und mir macht es Spaß, ihn in Memos mit seinen Initialen anzureden, da es meine einzige Möglichkeit ist, ihm zu sagen, daß er die Hölle ist. (Genaugenommen war es meine Frau, die das witzig fand und auch ausführlich darüber lachte; ich allerdings nicht, ich fragte mich nur, was ich gesagt haben könnte, denn bewußt hatte ich schon seit einiger Zeit den Mund nicht mehr aufgemacht. Ich glaube, ich hätte lieber diese Art von Humor als meinen eigenen — die gebildete, informierte Art, die einen in die Lage versetzt, beim Witzemachen die Lippen zu schürzen und mit einem müden Blick in die Runde nach jemand zu suchen, dem das grobe Tuch des Alltags ebenso schlecht paßt wie einem selbst. Nicht daß meine Frau auch nur annähernd in diese Kategorie fällt. Ich will auf keinen Fall, daß irgend jemand auf diesen Gedanken kommt. Mein Humor ist, wie gesagt, ein anderer, und ich mußte im Lexikon nachsehen: Dis oder auch Dis pater ist der altrömische Unterweltgott, entsprechend dem griechischen Pluton.)
Mein Chef ist jünger als ich, und man kann ihn fast keuchen hören, so sehr strengt er sich an, ganz an die Spitze zu kommen. Er steht in dem Ruf, sehr intelligent zu sein, aber alles, was ich in seinen langen Berichten usw. entdecken kann, ist eine gewisse Geordnetheit der Darstellung und die Fähigkeit, Klischees aneinanderzureihen. Das Fleisch (oder das Skelett, wenn Sie so wollen) kommt von mir. Andere Leute sind ihm völlig gleichgültig, außer er kann sie für seine Zwecke ausnutzen. Vielleicht hat man ihm in der Schule irgendeine Gemeinheit zugefügt, oder in seinem Privatleben fehlt irgend etwas. Er heißt Plaskett, und, um es taktvoll auszudrücken, er ist ein absolutes oder vollkommenes Arschloch. Er ist ein solches Arschloch, daß man sich nicht verpflichtet fühlt, darüber nachzudenken, wie er eines geworden sein könnte. Meine Frau glaubt an die »angeborene Güte« des Menschen, die nur zur Schlechtigkeit werden kann, wenn ihm in der Kindheit
etwas Schlimmes zugestoßen ist. Daß jemand drangsaliert wird, stört mich so sehr wie jeden anderen, aber wenn man davon ausgeht, daß Plaskett als Junge auch nur annährend so war wie jetzt, dann dürfte er das einzige Kind in der Weltgeschichte gewesen sein, der es häufig provoziert hatte, und wie heftig er auch drangsaliert wurde, es konnte ihn unmöglich schlimmer machen, als er jetzt ist.
Zum Glück für uns beide bin ich sein williger Vasall. Ich gebe meine Arbeit rechtzeitig ab, und er hat noch nie etwas daran auszusetzen gehabt. Er glaubt deshalb, daß ich ein guter Kerl bin, und stellt keine Nachforschungen über mich an, die ihn zu dem Schluß führen könnten, daß mein Job überbezahlt und eigentlich ein Kinderspiel ist. Ich versorge ihn mit makellosen Tabellen und Diagrammen, die er als seine eigenen weitergibt. Ich bin recht zufrieden mit dieser Lage der Dinge. Ich bin ganz froh, daß er in gewisser Weise von mir abhängig ist, weil ich völlig von ihm abhängig bin. Der Gedanke, daß ich mir einen anderen Job suchen müßte, versetzt mich in Panik. Er ist mein Beschützer, solange ich ihm gute Dienste leiste. Es
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