Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
ist eine Feudalbeziehung. Bei Gott, es wäre mir nur lieber, ich würde ihn nicht so sehr verabscheuen. Es wäre mir lieber, er wäre nicht jünger als ich. Es wäre mir auch lieber, ich könnte mir von ganzem Herzen wünschen, daß er so richtig auf die Schnauze fällt. Das Dumme ist nur, er würde mich mitreißen, aber ohne mich wieder auf die Beine kommen. Manchmal stelle ich mir vor, daß ich zu ihm sage: »Sehen Sie, Plaskett, ich wollte Sie nur wissen lassen, daß Sie ein absolutes (oder vollkommenes) Arschloch sind«, oder daß ich ihm sogar einen soliden Tritt in den Arsch versetze. Und dann erröte ich bei dem Gedanken und zittere vor Angst, als hätte ich es tatsächlich gesagt oder getan. Er hat nicht die geringste Ahnung, was ich von ihm halte. Ich glaube sogar, in gewisser Weise respektiert er mich, so wie er eine gute Uhr respektieren würde, weil sie ihm immer die genaue Zeit sagt.
Letzte Woche gewährte er mir meine alljährliche vertrauliche Unterredung.
»Gibt nicht viel zu sagen, Tom«, begann er. »Eine saubere, solide Jahresleistung, habe ich gesagt.«
»Das ist sehr freundlich. Danke. Ich habe mich nur bemüht ...«
»Ich kann mich auf Sie verlassen. Das ist es, was zählt.« Er drehte sich mit seinem Sessel zum Fenster, und ich nickte heftig und versuchte gleichzeitig, geschmeichelt dreinzusehen, als er sich wieder zu mir umdrehte und stirnrunzelnd seine Fingernägel betrachtete, wohl um eine Aura, sagen wir mal, scharfsinnigen Weltüberdrusses auszudrücken.
»Sein Leitspruch: ›Jeden Tag Leistung liefern‹, so habe ich es formuliert.«
Ich sagte: »Den Queen’s Award for Industry habe ich mal wieder nicht geschafft, was?«
Manchmal gebe ich ihm die Befriedigung, mich in meine Schranken weisen zu können, was er bei dieser Gelegenheit tat, indem er mir zu verstehen gab, es wäre wohl das beste, wenn er so tat, als hätte er mich nicht gehört.
»Die Frage ist«, fuhr er fort, den Blick noch immer auf die Fingernägel gerichtet, die Sprechweise nun leicht gedehnt, als würde seine Weisheit auf eine harte Probe gestellt, »wie sehen wir Ihre Zukunft?«
Ich mußte, Gott sei Dank, nicht sofort antworten, denn in diesem Augenblick kam Mrs. Hodge, unsere Kaffeedame, herein. Was hätte ich sagen können? »Indem wir ein Auge zudrücken?« Natürlich nicht. Ich hätte etwas sagen können in der Richtung, daß ich weiter unermüdlich meinen Mann stehen, mein Bestes tun und alle Anforderungen zur Zufriedenheit erledigen werde. Ja, das hätte ich sagen können. Daran ist doch nichts verkehrt, oder? Nach dem wenigen, was ich über die Religion weiß, ist das Anschleimen aus Angst ein herausragender Teil von ihr. Und wie ich bereits angedeutet haben dürfte, ist Plaskett zum Gotterbarmen widerlich. Es hätte außerdem, was noch viel wichtiger ist, der Wahrheit entsprochen, und in der Hinsicht gerät die Religion deutlich ins Hintertreffen. (Meine Frau hält nicht viel von Religion, sie nennt sie Hokuspokus und eine »Ablenkung«. Ich erwidere nicht, daß mir
das schon mal ein guter Anfang zu sein scheint.) Wie auch immer, Mrs. Hodge gehört zu den Menschen mit einem überentwickelten Pflichtbewußtsein. Sie kommt jeden Tag zur Arbeit, auch wenn sie eine fürchterliche Erkältung oder noch Schlimmeres hat und eigentlich im Bett bleiben sollte. Sie ist loyal der Firma gegenüber und haßt es, Unannehmlichkeiten zu verursachen. Sie bemuttert die jüngeren Angestellten wie zum Beispiel Hipkin und sagt ihnen, sie sollen den Kopf nicht hängen lassen, sie seien ja sowieso bald tot oder sonstwas. Sie putzt und macht Kaffee usw. auf unserer Etage und der darunter und kann sich einfach nicht vorstellen, daß wir ohne sie zurechtkommen könnten. Ich würde sagen, sie ist unser aller Mutter, wenn sie nur nicht so unterwürfig wäre. Meiner Erfahrung nach geht bei vielen Leuten Gewissenhaftigkeit mit Unterwürfigkeit einher. Bei anderen Leuten, wie meiner Frau zum Beispiel, geht sie einher mit dem Drang, sich ein hohes Maß an Selbstzufriedenheit zu bewahren. Das habe ich nicht so gemeint.
»Jetzt nicht«, sagte Plaskett mit einem Schmollen und fügte dann hinzu: »Na gut, wenn Sie schon mal da sind.«
So eine Sorte Mann ist er. Einmal veranstalteten wir eine Sammlung für eine unserer Schreibkräfte, deren Tochter sich an einem Elektroheizgerät schlimm verbrannt hatte; wir wollten der Kleinen ein Geschenk kaufen. Plaskett wischte die Sammelliste mit der Bemerkung beiseite, er habe den Eindruck, daß
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