Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
wir noch früh genug herausfinden, wenn uns solche Fragen nicht mehr in den Sinn kommen.«
Ich fragte noch einmal, ob ich irgend etwas tun könne, ich hätte viel Zeit zur Verfügung. »Auch wenn es um Geld geht.«
»Sie ist in jeder Hinsicht versorgt«, sagte sie und stand auf. »Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich. Aber es gibt so viel zu tun, und wir müssen heutzutage beim Personal sparen. Machen Sie sich um sie keine Sorgen. Sie hat sich die meiste Zeit noch recht gut im Griff und sagt dann Sachen wie: >Komm, Sarah, meine Liebe, gehen wir. Wenn wir trödeln, kommen wir nie rechtzeitig hin.‹«
»Ich habe ihre alte Bibel und ihr Gebetbuch gefunden. Meinen Sie, sie hätte sie gern zurück?«
»Ich würde mir die Mühe nicht machen, wenn ich Sie wäre. Dann würde sie nämlich wirklich denken, daß man sie holen kommt.«
Während ich das jetzt schreibe, ist sie noch am Leben. Ich habe gestern angerufen, und die Heimleiterin sagte: »Ihr Leben ist jetzt so ausgefüllt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wacht sie auf, um mit ihrer Sarah zusammenzusein, und die ganzen Reisen, die sie miteinander unternehmen ...«
Wenn ich nur einen Weg gefunden hätte, Maureen das alles zu erzählen. Ich weiß noch immer nicht so recht, was eigentlich schiefgelaufen ist, zum Kern des Problems bin ich noch nicht vorgestoßen. Die Witze hätten besser sein können oder hätten nicht nötig sein müssen, und die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo in diesem Bereich. Wenn ich Fehler finde, dann meistens bei mir selber. Wie mein Vater einmal sagte: »Du sollst nicht wollen, was du nicht haben kannst.« Worauf meine Mutter erwiderte: »Du sollst
aber auch nicht haben, was du nicht willst.« Deshalb vermeide ich es inzwischen immer mehr, mir Frauen zu genau anzuschauen, weil ich mir nicht gern selber leid tue.
Der Colonel war es, der starb. Ungefähr zwei Wochen lang sah ich ihn nicht und dachte mir, sie wären den Winter über weggefahren. Schließlich sagte mir die Frau im Laden, daß er im Krankenhaus gewesen, aber jetzt wieder zu Hause sei. Ich rief sofort an, und Agnes sagte mir, es gehe ihm langsam ein bißchen besser.
»Blödsinn«, sagte er laut am Nebenapparat.
»Hab nur angerufen, um zu fragen, wie’s Ihnen geht. Hatte ja keine Ahnung ...«
»Mir geht’s verdammt beschissen.«
»Ich schätze, das Wetter ist auch nicht gerade förderlich.«
»Das Wetter hat damit überhaupt nichts zu tun. Ist Ihnen aufge-
fallen, daß die Vögel sich aus dem Staub machen, wenn’s wirklich übel wird?«
»Ein paar bleiben auch da.«
»Kann mir nicht vorstellen, warum. Aber ich kann Ihnen eins sagen. Hier ist ein alter Soldat, der im Frühling keinen Flieder mehr abschneiden wird.«
»Lassen Sie ihn dort, wo er hingehört, auf dem Strauch. Ist eh viel schöner so.«
»Sie wissen, was ich meine. Wie auch immer, wie geht’s dem Liebesleben? Attraktive Frau, dachte ich mir.«
»Meine Schwester, meinen Sie? Sie denken doch wohl nicht für eine Sekunde ... Ich vegetiere vielleicht dahin, aber ich bin doch kein Schwede.«
Sein Lachen wurde zu einem unkontrollierbaren Husten, und Agnes sagte: »Danke, daß Sie angerufen haben, Tom. Sie müssen mal vorbeikommen, wenn’s ihm ein bisschen bessergeht.«
»Was soll denn das«, hustete er. »Kein Vögeln, wo ich hingehe. Wie viele Engel passen auf den Schwanz eines ... ? Und wir werden wiederauferstehen ... Zum Teufel mit Jenners, das sage ich Ihnen.«
Eine Pause entstand, offenbar ging sie nach oben zu ihm, und
dann hörte ich schwach, wie sie sagte: »Trink das, Darling. Ganz ruhig jetzt.« Dann stieß sie einen kleinen Schrei aus. »Tu das nicht! «
Ich legte auf, und ungefähr zehn Minuten später rief sie zurück. In ihrer Stimme schwang noch immer das Lachen mit, aber sie klang auch aus anderen Gründen erstickt und heiser. »Tut mir leid, Tom. Ich habe ihm was gegeben, und er schläft jetzt. Das war sehr unhöflich von uns.«
»Sehr. Weiß überhaupt nicht, warum ich mir die Mühe gemacht habe. Wann kann ich denn vorbeikommen?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er noch mal ins Krankenhaus muß. Ich glaube, eher nicht. Er ist inzwischen sehr krank, wissen Sie.«
»Ist es ...?«
»Es ist vieles. Eine ganze Menge von Sachen, neben dem Krebs, meine ich.«
»Kann ich ...?«
»Ich halte Sie auf dem laufenden, Tom, mein Lieber.«
»Richten Sie ihm die besten Wünsche von mir aus.«
»Das werde ich.«
Eine Woche später starb er. Ich erfuhr es von Jenners.
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