Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Flecken im Gesicht. Unser damaliges Treffen erwähnte er nicht. Er war ziemlich
in Eile, hatte sich extra für mich Zeit freigeschaufelt. Aber das war ganz okay so. Er zeigte mir ein Foto seiner Wohnung in Canonbury, die ich mir anschauen werde, wenn ich das nächste Mal in London bin. Er bot mir tatsächlich ein paar Hunderter an, falls ich sie nötig haben sollte. Ich sagte, ich würde ihm Bescheid geben.
Ich fragte ihn, was seine Mutter von alldem halte. Er verzog das Gesicht. »Sie ist natürlich dagegen, kann aber nicht besonders gut verstecken, daß sie auch ein bißchen stolz auf mich ist. Einmal hat sie gesagt: >Wir Sozialisten verurteilen persönlichen Reichtum nicht, nicht als solchen.‹ Würde mich nicht trauen, ihr zu sagen, was ich alles für die Privatisierung tue. Eigentlich ist Mum ganz okay. Hält mir inzwischen keine Vorlesungen mehr. Ihr Mann hält den Mund, schaut immer ein bißchen abgerissen aus, extra um meinetwillen, wie ich vermute.«
Beim zweiten Mal mußte ich ihn einfach fragen. Er schaute mir direkt in die Augen.
»Klopf auf Holz, Dad. Ich kenne zwei Jungs, die daran gestorben sind. In den einen war ich verliebt — damals im Restaurant, weißt du noch? Aber ich hab nie ... Kriegte es einfach rechtzeitig mit der Angst. Es gab also kein ...«
»Analverkehr.«
Er nickte. »Eigentlich wollte ich sagen, >keine Gefahr<. Und jetzt ist da dieses Mädchen, und ich habe den Test machen lassen. Sogar zweimal. Mein Gott, Dad, bis jetzt hatte ich so ein verdammtes Glück.«
»Verdamm es lieber nicht. Und dieses Mädchen, die Magazine haben dich also nicht ...«
Er schaute auf seine Uhr, und ich fragte mich, wieviel sie wohl gekostet hatte.
»Sagen wir mal so, ich freu mich schon drauf, es auszuprobieren. Sie ist sehr süß, sehr verständnisvoll. Ich glaube, sie vermutet was. Sieht nicht gerade umwerfend aus, hat aber sehr viel Stil, wenn du weißt, was ich meine. Wir glauben beide, daß wir auf einem guten Weg sind.«
»Verstehe.«
Er schaute noch einmal auf seine Uhr. »Sorry, Dad. Aber ich muß los. Es ist mal wieder eine japanische Invasion im Gange. Ich muß versuchen zu verhindern, daß sie die Welt übernehmen.«
»Nur noch eins, Adrian. Wenn ich das nächste Mal in der Stadt bin, gehst du mit mir dann zu Harrods zum Einkaufen?«
Er bemerkte meinen zweiten Blick auf seine Uhr und lächelte. Jetzt war er es, der die Hand auf meine legte. Dann rückte er sich Krawatte und Brille zurecht und ging. Vier Tage später erhielt ich ein Päckchen mit einer Uhr wie die seine, vielleicht sogar noch ein bißchen besser.
Um Adrian muß ich mir also keine Sorgen mehr machen. Mir gefallen Bücher mit einem glücklichen Ende. Mir gefallen Wiedervereinigungen und das Verteilen von Geschenken. Weil das Leben nicht so ist. Es gibt nur Trennung und Verlust, und am Ende wird einem alles genommen. Als die Uhr ankam, die mir, wie die Broschüre sagte, die Zeit auf eine Hundertstelsekunde genau anzeigte, nahm ich sie in die Hand und dankte Gott für meinen Sohn und das Glück, das er bis jetzt im Leben hatte. Aber ich trage sie nie. Die Uhr, die ich bereits habe, ist noch ganz in Ordnung, wenn ich daran denke, sie aufzuziehen.
Jetzt wird es wieder Winter, und die Abende sind lang. Im Garten habe ich das alte Laub zusammengerecht und dabei Grasbüschel ausgerissen, so daß der Rasen jetzt kahle Stellen mit nackter Erde hat, gegen die ich erst im Frühling etwas tun kann. Agnes gab mir einen Winterdünger für den Rasen und sagte mir, was ich mit meinen Rosen tun solle. Als die Blätter fast alle abgefallen waren, rief ich im Altenheim an, um mich nach Nanny Phipps zu erkundigen, und fuhr dann eines Nachmittags dort vorbei. Die Heimleiterin empfing mich in ihrem Büro.
»Es bringt absolut nichts, wenn Sie sie jetzt besuchen. Fremde beunruhigen sie mehr denn je. Sie hält sie jetzt nicht mehr für Leichenbestatter, sondern für Polizisten oder Priester in Zivil. Die meiste Zeit redet sie mit den Fotos, die Sie ihr gebracht haben, oder genauer mit Sarah, mit der sie auch Abenteuer erlebt. Sie
lächelt und plappert vor sich hin und scheint ihre Inkontinenz und das alles überhaupt nicht zu bemerken. Ich würde es Glücklichsein nennen, wenn irgendeine Realität dabei wäre, irgendeine Wahrheit darin. Aber vielleicht liegt genau darin das Glück ...« Sie kicherte. »Man kann sich einfach nicht vorstellen, daß man bei diesen Beschwerden und dem Gestank glücklich sein kann. Na ja, das werden
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