Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
ihm und sagte dann zu mir: »Aber Sie müssen mitkommen, Tom.«
Doch auch ich lehnte ab. Sie sollten mit den alten Freunden allein sein. Ihre Tochter war vorausgelaufen, um das Auto zu holen, und ich schaute nun zu, wie die anderen sich, ein wenig verlegen flüsternd, auf den Weg machten. Der Vikar ging noch einmal zurück, um das Licht auszuschalten, und wir erreichten gemeinsam die Tür. Es regnete in Strömen, die nackten Bäume schwankten im Wind, und ihre Stämme glänzten im Licht der Scheinwerfer. Er nahm mich in seinem Auto mit bis zu meinem Haus, sagte dabei aber nur, was für ein fürchterliches, gottloses Wetter das sei. Ich lud ihn zu mir ein, aber er schüttelte den Kopf.
»Ich würde sehr gern mitkommen, aber ich bin jetzt schon spät dran.« Dann lächelte er breit, wie aus Versehen. »Ich habe diese Woche schon drei Leute begraben, und bis zum Ende nächster Woche werden es noch ein paar mehr werden. Er war bei weitem der Älteste. Über die anderen ist nicht viel zu sagen. Allerdings, wie sich die Trauer bei jedem einzelnen äußert, ist alles andere als alltäglich. Was für ein gotterbärmlicher Job das doch manchmal sein kann.«
Am nächsten Morgen klarte es auf, und es wurde so schön, daß ich zu Fuß zum Laden gehen konnte. Ich traf sie auf dem Rückweg, und an meinem Gartentor blieben wir stehen und unterhielten uns für eine Weile. Sie trug ein Tuch um den Kopf, und im diesigen, grauen Tageslicht wirkte sie aufgewühlt, als hätte jemand versucht, sie zu betrügen. Vielleicht hatte sie in der Nacht zuvor geweint oder nicht geschlafen, oder eine Erkältung war im Anflug, oder sie hatte auf Make-up verzichtet oder alles miteinander. Ihr ungeschminktes und nicht von den Haaren beschattetes Gesicht war gerötet und leicht fleckig, als würde sie einen Ausschlag bekommen, der von den Augen ausging. Sie war jetzt ganz und gar nicht mehr schön, sie war unvollkommen, unausgeglichen, gewöhnlich, verletzt und unaussprechlich liebenswert.
»Ich bleibe ein paar Tage bei meiner Mum«, sagte sie eben als Antwort auf eine Frage, die ich bereits vergessen hatte.
»Wird sie im Dorf bleiben?«
Sie schüttelte den Kopf, wirkte wieder aufgewühlt und schaute zum Himmel hoch, als würde sie dort nichts als Ödnis und Verzweiflung sehen.
»Nicht gerade berauschend hier, was?« ergänzte ich.
»Nein, sie geht in die Staaten zurück. Das wollte sie schon, seit Dad in den Ruhestand getreten ist, aber er hätte das nicht ausgehalten.«
»Ich dachte mir immer, daß die beiden glücklich wirken. Sehr sogar. Als würden sie sich sehr nahestehen.«
Sie seufzte. »O ja. Aber das ist jetzt vorbei. Ohne ihn könnte sie hier nicht bleiben. Es war nicht einfach für sie.«
Ich öffnete das Tor, aber es sah nicht so aus, als wollte sie weitergehen, sie schaute noch immer zum Himmel hoch oder dorthin, wo er an die Baumgruppen stieß, die sich am Horizont wie Dornenhaufen erhoben.
»Ich kannte ihn ja kaum, aber wenn ich das sagen darf, er hat auf mich den Eindruck eines außergewöhnlich netten Mannes gemacht.«
Sie nickte ungeduldig, und ich dachte, sie will über das alles überhaupt nicht reden.
»Ich frage mich nur, ob ich ihn immer so vermissen werde wie jetzt. Die beiden haben sehr lange auf mich gewartet, wissen Sie.«
Sie schaute mich vorwurfsvoll an, als würde das verhindern, daß der Kummer sie wieder übermannte. Ich schaute zum Himmel hoch und sah die Trostlosigkeit dort heller werden, das Versprechen eines kurzen Intermezzos schönen Wetters.
»Anfangs habe ich meinen Vater nicht sehr vermißt«, sagte ich. »Heiraten, Kinderbekommen, diese Sachen. Jetzt kommt es mir vor, als würde er mir immer mehr fehlen. Auch meine Mutter, wenn ich es mir recht überlege, obwohl sie noch am Leben ist. Ich werde immer öfter an sie erinnert. Auch meine Kinder, obwohl ich mir die Frage stellen muß, ob ich sie je so geliebt habe, wie er Sie geliebt hat. Und Sie müssen ihn sehr bewundert haben. Was natürlich hilft. Außer Liebe wächst nur aus sich selbst heraus und wird nicht durch irgend etwas anderes bedingt.«
»Seine Tapferkeit, meinen Sie?«
»Ja, oder eher allgemein. Er war Ordensträger, hat der Vikar gesagt.«
»Das Military Cross und einen Distinguished Service Order. Mum wußte nie so recht, wofür er sie bekommen hat. Als ich noch klein war, sagte sein Sergeant einmal zu mir, er sei der tapferste Mann, den er je gekannt habe. Wenn das Thema zur Sprache kam, wechselte er schnell zu einem
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