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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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verschränkten Hände, betupfte mir die Augen mit der Papierserviette, so daß wir beide, als die Kellnerin zurückkehrte, uns krümmten vor Kichern und gleich darauf losprusteten. Ich weiß nicht, wer damit angefangen hatte, ich glaube, Adrian, und es wurde auch noch schlimmer, als wir auf unsere Eier hinunterschauten, mit den Pommes schön um
sie herum drapiert, und uns gleichzeitig die Haare rauften und ein Auge abdeckten und mit entsetzter Miene unsere Teller anstarrten.
    »Schön, daß wenigstens einige ihren Spaß haben«, sagte die Kellnerin mit einem lauten Seufzen. »Als Nachspeise gibt’s übrigens noch ein ganz süßes Schnittchen.«
    »Wo ist die Süße«, stammelte ich und spähte um die Trennwand herum. »Wo ist sie denn jetzt?«
    Das war zuviel für Adrian, der inzwischen richtig weinte. Er schluchzte einmal in sein Taschentuch und eilte auf die Toilette.
    »Tut mir leid«, sagte ich zur Kellnerin. »Das war sehr ungezogen von uns.«
    »Ist ja nicht einfach für euresgleichen«, sagte sie. »Ist doch schön, daß ihr auch mal euren Spaß habt.«
    Nachdem sie gegangen war, arrangierte ich beide Eier und sämtliche Pommes auf Adrians Teller und gab dem ganzen Ohren und Lippen aus Ketchup, eine Senf-Nase, einen Schnauzer aus Worcester-Sauce und streute Salz auf die Pommes, um Haar und Bart ein wenig ergraut aussehen zu lassen. Als er zurückkam und sich setzte, dauerte es nicht lange, und er rannte mit einem Aufheulen wieder auf die Toilette.
    Kurz darauf gingen wir, ohne das Essen angerührt zu haben. Ich legte für die Kellnerin einen Zehner auf den Tisch. Ich hoffe, sie dachte nicht, ich wäre ein reicher Mann. Aber es gibt einfach Leute, bei denen kann man sich nicht genug bedanken. Es war ein schöner Tag im Frühherbst, und wir spazierten durch den Park und scharrten Blätter hoch. Geredet wurde, soweit ich mich erinnere, nicht mehr viel. Ich sagte ihm, er solle seiner Mutter schöne Grüße ausrichten. Er erzählte ein bißchen von seinem Studium. Er war erstaunlich gut, daran bestand kein Zweifel. Ich erzählte ihm von meinem Haus auf dem Land und meinem riesigen Garten samt Rhododendronhecken und Obstbäumen. Er meinte, er sei ehrgeizig, aber nicht wegen Geld oder Macht. Er wolle nicht unbedingt Dinge in Bewegung setzen, sondern sie eher verhindern, wie Insiderhandel zum Beispiel und daß die sehr Reichen gierig werden und die sehr Gierigen reich, nicht, daß er was gegen
Geld habe, es gefalle ihm nur nicht, was es aus den Leuten mache — so in der Richtung.
    Ein kalter Wind kam auf, deshalb blieben wir nicht so lange im Park, wie wir gewollt hatten. Wir erinnerten uns an den Tag mit den Webbs und den Hambles, als wir Kricket gespielt hatten und er dann zu schmollen anfing. Die Blätter wehten uns um die Beine und klebten an den Hosen, und die wenigen, die noch auf den Bäumen waren, konnten nicht mehr verdecken, daß der Himmel sich sehr schnell dunkel färbte. Gegen Ende saßen wir dicht nebeneinander auf einer Bank und sahen zu, wie das Blau immer weniger wurde und schließlich ganz verschwand und ein starker Windstoß ungefähr die Hälfte der letzten Blätter von dem Baum über uns riß. Eine Weile hüpften wir umher und versuchten sie zu fangen (Adrian fing zwei, ich keins, zumindest kein ganzes), und dann gingen wir zur U-Bahn-Station.
    »Was hat das alles zu bedeuten, Dad?« fragte er.
    Und ich erzählte ihm eine Geschichte, die der Colonel mir ein paar Monate zuvor erzählt hatte. Ein Taxifahrer sagt: »Ich hatte einmal den Philosophen Bertrand Russell in meinem Taxi. Hab mich umgedreht und gesagt: >Sie sind Bertrand Russell, nicht?< >Ja<, sagte er. >Und worum geht’s denn eigentlich?< habe ich ihn gefragt. Aber er hat kein verdammtes Wort gesagt.«
    Er kniff die Lippen zusammen, berührte mein Handgelenk und wandte sich ab. Nicht einmal der Anflug eines Lächelns. Ich hatte mich mal wieder zu sehr bemüht. Wie schon vor so vielen Jahren sah ich ihm nach, im Herzen eine Angst um ihn, die mir die Kehle zuschnürte, und eine immer stärker werdende Beschämung, daß ich nicht mehr neben ihm war. Ich hatte ihn so gesehen, wie er allein wahrscheinlich oft war, in Tränen aufgelöst.
     
    Während ich jetzt, viele Jahre später, auf das alles zurückschaue, wird AIDS immer schlimmer, und der Big Bang ist bereits passiert. Adrian scheint bis jetzt sehr gut davongekommen zu sein. Ich habe ihn ein paarmal gesehen, er sieht fesch und elegant aus mit Hornbrille und dunkelblauem Anzug. Nirgendwo

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