Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Leben. Herzlichst, Tom Ripple. «
Nicht gerade einer der ganz großen Briefe, werden Sie jetzt denken, aber ich schrieb ihn auf eine dieser großen Grußkarten mit dem Turner-Gemälde Frostiger Morgen darauf. Ich zog dieses Motiv einem üppigen, sonnenhellen Blumenarrangement eines französischen Malers vor, in dem Fall war mir die Wahrheit wichtiger als die Schönheit. Obwohl, soweit ich weiß, man allgemein davon ausgeht, daß beide so viel voneinander haben, daß man sie kaum mehr unterscheiden kann, oder vielleicht war es einfach so, daß ich es mit Blumen nicht sagen konnte.
Ihre Antwort kam aus den Staaten auf einer noch größeren Karte, auf der ein Mädchen mit langen Haaren zu einem hohen, schlichten Holzhaus auf einem Hügel hinaufschaute. Es war wunderschön, aber irgendwie nicht wahr, mit anderen Worten sentimental. Auf die Innenseite hatte sie geschrieben: »Vielen Dank für Ihre bezaubernde Karte. Es tut mir sehr leid, daß ich mich nicht verabschiedet habe, aber ich war zu verwirrt und erschüttert, um klar denken zu können. Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Ihr alle erscheint mir schon sehr weit weg, und es ist schön, wieder in den guten alten Staaten zu sein. Ich hoffe, Sidney schießt sich in den Fuß. Er war ein Gauner und ein Lüstling. Ich habe keinen Beweis, aber er scheint sich einiges unter den Nagel gerissen zu haben. Sie dagegen waren immer ein Gentleman. «
So war das also. Jetzt, beim Schreiben, erinnere ich mich mit Zuneigung an die beiden, vermisse sie noch immer. Als ich heute an ihrem Haus vorbeifuhr, sah ich mehrere kleine Kinder herumlaufen, also nehme ich an, daß die neuen Besitzer bereits eingezogen sind. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Um meine Neugier zu befriedigen, könnte ich zu ihnen gehen und sagen: »Willkommen, ich wohne ein Stückchen weiter unten, sagen Sie mir nur Bescheid, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann.« Falls ich es täte, dachten sie dann vielleicht: irgendein neugieriger alter Trottel, der nur zum Schnüffeln kommt. Gib so einem den kleinen Finger, und er
nimmt die ganze Hand ... Ich habe keine Ahnung, was für einen Eindruck ich auf Leute mache ... Ich glaube, wenn ich mir selber begegnen würde, würde ich mir nicht unbedingt trauen. Irgendwie zu wenig dahinter ... Warum ich so weitermache? Um die Zeit herumzubringen natürlich. Es gibt nichts mehr, was ich von den Leuten noch erzählen könnte, über die ich zu schreiben versucht habe.
Immer weiter reist es durch die Erinnerung und kommt nirgendwo an. Das dürfte der Grund sein, warum ich hier bleibe, wo es so viel Himmel gibt, der zuweilen schmuddelig ist und oft in Nächten scheußlichen, lauten Wetters endet. Ich mache mich im Kunsthandwerkszentrum nützlich, führe die Bücher, reise durch die Gegend, um die Ware in Läden unterzubringen, entscheide über die Preise. Zwei Nachmittage pro Woche verbringe ich damit, manchmal besuche ich eine Bank, um einen Kredit oder einen Staatszuschuß zu beantragen. Da draußen existiert eine ganze Welt, wie ich jetzt allmählich feststelle, der ökonomischen Erneuerung, wie’s so schön heißt, die sich äußert in der Förderung kommunaler Entwicklungen, in Ausbildungsprogrammen und Hilfen zur Selbsthilfe. Nächste Woche werde ich einen bescheidenen Expansionsplan abgeschlossen haben. Ich habe andere derartige Zentren besucht, und ich sehe nicht ein, warum das unsere nicht so gut sein sollte wie die. Wenn ich zu solchen Terminen gehe, trage ich Anzug und Krawatte, und ich befürchte, sie belächeln mich hinter meinem Rücken. Allmählich erkenne ich auch, was sich verkauft und was nicht. Und ich habe immer recht dabei. Ich trinke ihren selbstgemachten Wein, und der ist meistens ziemlich gräßlich. Inzwischen braue ich mein eigenes Bier, mit braunem Zucker: Ripple’s Forest Brown nenne ich es. Mein Bauch wird immer dicker. Morgen werde ich einen Anzug mit Weste tragen und mir die Schuhe putzen. Das wird sie aufheitern.
Noch ein paar Sachen abzuschließen. Ein Anruf bei Maureen. Ich verspreche, nach London zu kommen, um sie noch einmal singen zu hören, aber ich weiß, daß ich das nie tun werde. Inzwischen
höre ich zu Hause ziemlich viel Musik. Dafür muß ich ihr danken. Der gute, alte Albinoni. Ich glaube, sie war ziemlich beeindruckt, als ich ihr erzählte, welche Platten ich mir in der Bücherei ausleihe.
Ich habe auch mit meiner früheren Frau gesprochen. Ich erzählte ihr vom Kunsthandwerkszentrum. Sie war begeistert, sogar sehr.
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