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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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weiß?
     
    Ich gehe ziemlich oft in die Kirche. Die Leute denken allmählich, ich hätte dort irgendeine offizielle Funktion. Jenners geht inzwischen ein bißchen sehr ungezwungen mit mir um. So beachtete er mich zum Beispiel kaum, als ich ihn Daten von einem Grabstein abschreiben sah und ihn fragte, was in Teufels Namen er da treibe. Aber was soll’s. In einer solchen Umgebung muß ich seine Art der Selbstgewißheit nicht unbedingt haben. Ich wünsche mir, ich könnte die Religion ernst nehmen. Ich glaube noch immer kein Wort davon, aber es klingt alles erstaunlich schön und richtig, die Worte und die Musik. Aber ist es auch wahr? Darum geht’s. Natürlich ist es nicht der Glauben selbst, über den die Leute wirklich nachdenken, sondern das Weiterleben. Zumindest ist das die Erkenntnis, zu der ich gelangt bin, dazu und zu der Fähigkeit, mir eine Art Tagtraum schöner Gefühle zu bewahren, die völlig unbeeinflußt sind davon, was draußen in der wirklichen Welt passiert.
     
    Ich habe noch ein paar Wünsche. Daß ich zu Maureen hätte sagen können: »Ich merke, daß ich dich noch immer brauche und will. Es war wunderbar an diesem Abend im Frühherbst, es war durch und durch richtig, so wie es war, aber was ist danach nur passiert?« Ich hätte gern, daß sie in der Kirche neben mir sitzt und so singt, wie sie es eben tut. Ich habe ihren ersten Brief noch einmal gelesen, die Traurigkeit hinter den Worten, und ich schäme mich.
Denn ich habe sie benutzt, auch in meinem Schreiben, immer und immer wieder.
    Am letzten Sonntag sprach mich der Vikar auf ihr Fehlen an. Ich zuckte die Achseln und machte ein verlegenes Gesicht.
    »Man kann nicht alles haben, hm?« sagte er.
    »O Gott«, erwiderte ich. »Seit wann? Ich dachte, es ist immer alles da, und man muß es sich nur nehmen.«
     
    Hin und wieder kommt es sogar vor, daß ich ins Gartencenter fahre und große Blumensträuße kaufe, mit denen ich dann den Altar usw. schmücke. Sie bringen allerdings nicht genug zusätzliche Schönheit, um etwa die Wahrheit zu befördern oder ähnliches. Wenn sie also nicht die Schützenhilfe sind, die ich für meinen Sprung im Glauben brauche, so sind sie doch wunderbar anzusehen, wenn ich vor ihnen stehe oder sitze und mit den Zehen wackele.
     
    Mrs. Thatcher hat eben ihre dritte Amtszeit begonnen. Ich weiß, Sie wollen inzwischen unbedingt wissen, ob ich sie gewählt habe oder nicht.
     
    Meine Mutter ist noch immer am Leben, und es geht ihr den Umständen entsprechend sehr gut, auch wenn sie inzwischen schwerhörig ist, was Anrufe bei ihr ziemlich sinnlos macht. Sie selber ruft mich nie an. Wenn ich sie besuche, interessiert sie sich kaum für das, was ich tue, als müßte ich sowieso nur verstecken, daß es nichts Gutes ist. Sie hat mir absolut nichts zu erzählen. Klatsch hat sie schon immer gehaßt, und sie hat auch nie über die Vergangenheit gesprochen. Soweit ich mich erinnern kann, hat sie meinen Vater kein einziges Mal erwähnt. Was die Gegenwart angeht, so mißtraut sie allem und jedem. Da es in meinem Leben so wenig gibt, was ich ihr erzählen könnte, bleibe ich nie lange. Als ich ihr sagte, ich würde frühzeitig in Rente gehen, meinte sie nur: »Und das schon so bald, nachdem du angefangen hast. Na ja, die Arbeit ist ja nicht alles, wobei ich nicht weiß, was es sonst noch geben könnte.«

DRITTER TEIL

KAPITEL EINS
    W as ist also passiert, daß mein Abstecher ins Ländliche ein Ende fand? Jetzt, an diesem feuchten Winterabend in Highbury, gehe ich meine Notizen durch und sehne mich dorthin zurück. Der Colonel steht mit seiner Tochter am Zaun, und um sie herum lodert ihr Garten. Sie faßt ihn am Arm, als er zu husten anfängt. Tränen treten ihm in die Augen, und sie lächelt ihn an und dann mich, als er sich krümmt und in sein Taschentuch spuckt, in seinem Keuchen und Beben von ihrer Liebe umfangen. Ihr Lächeln ist hilflos und unerwartet, und ich wende mich von ihnen ab. So wollen sie nicht gesehen werden. Ich höre ihn noch einmal trocken und krächzend husten, und als ich mich ihnen wieder zuwende, steht er aufrecht und stramm da und sagt mit hoch erhobenem Kopf: »Diese verdammten Bronchien, hab den Mistkerlen noch nie getraut.« Sie streicht ihm über die Hand. Ich bin nicht mehr dort, deshalb weiß ich nicht, ob es so einen Augenblick je gegeben hat.
    Dann stehe ich allein in der leeren Kirche und atme zitternd die kalte Luft alten Steins ein. Ich stehe im Portal und warte darauf, daß der Regen aufhört.

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