Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
beiden wenig gemein hatten, wollte sie mich vielleicht daran erinnern, daß unsere Trennung ausschließlich meine Schuld gewesen sei, irgendeine lächerliche Leichtsinnigkeit oder ein Mangel an Durchhaltevermögen, und daß sie es schon »von weitem habe kommen sehen«, wie sie früher immer jedes Mißgeschick kommentiert hatte, das andere als reinen Zufall abtaten. Aber nichts davon wurde je ausgesprochen, und sie sagte immer nur: »Du mußt tun, was du für richtig hältst, wie immer«, wobei den letzten zwei Wörtern eine kurze Pause vorausging.
Das meiste über sie erfuhr ich von Mr. Ranasinghe oder einer seiner Frauen. »Machen Sie sich nur keine Sorgen, Mr. Ripple,
wir kümmern uns schon um sie«, sagten sie dann immer oder auch: »Eigentlich gehört sie schon zur Familie.« Ich fürchte nur, sie reagierte nicht sonderlich auf ihre Freundlichkeit, und wenn ich sie besuchte, verlor sie kaum ein Wort über sie.
Bei meinem letzten Besuch sagte ich zu ihr: »Sie scheinen aber wirklich sehr nett zu sein, Mutter, sie mögen dich sehr.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte sie mit einem Naserümpfen. »Du solltest sie nicht Ranasinghe nennen, als wären sie früher mal Nobelfriseure gewesen. Es heißt Sing.«
Ich hatte sie nie anders genannt, und ich dachte mir damals, daß sie noch immer Vergnügen daran fand, mich zu korrigieren, daß ihr kein anderes Vergnügen mehr geblieben war. Aber jetzt erkenne ich, daß sie mich aufmuntern wollte, indem sie einen Witz machte. Wie viele der barschen, abfälligen Sachen, die sie im Verlauf der Jahre gesagt hatte, waren für ihr eigenes Amüsement gewesen oder wurden für mich bereitgehalten, damit ich mich daran erinnerte, wenn sie schon lange nicht mehr lebte?
»Der Laden scheint ziemlich gut zu gehen«, sagte ich.
»Sie würden ihn kaum behalten, wenn es nicht so wäre, oder? Was die heutzutage so alles verkaufen. Und was gut oder schlecht geht, da habe ich keine Ahnung.«
Der Laden war inzwischen eine Zeitungs- und Schreibwarenhandlung, die auch Süßigkeiten und Tabak verkaufte und einen lokalen Lesezirkel betrieb. Zum Angebot an Magazinen gehörten auch die üblichen Erotika, und ich hatte angenommen, daß sie bei ihren Besuchen im Laden so tat, als würde sie die halb verhüllten Busen und Hintern über Kopfhöhe in der obersten Reihe nicht bemerken.
»Für jeden Geschmack was dabei«, sagte ich und kniff mir dabei unnötigerweise in den Schritt.
Sie saß aufrecht da, die Hände im Schoß gefaltet und starrte mich an, während ich den Tee eingoß. Würde sie mich gleich zum x-ten Mal daran erinnern, daß zuerst die Milch in die Tasse kam? Aber jetzt glaube ich, sie wußte bereits ganz genau, daß wir uns nie wiedersehen würden und daß man aus dieser Situation etwas Besonderes machen sollte.
»Zu Zeiten deines Vaters«, sagte sie mit ihrer beiläufigsten Stimme, »waren es diese FKK-Blättchen. Was anderes gab’s damals nicht, die und Lilliput . Hat ganz gern mal ’nen schönen Busen angeglotzt, dein Vater.«
Ich hatte sie noch nie so reden hören, und ich beeilte mich deshalb, sie zu fragen, wieviel Zucker sie wolle. Ich schaute sie an, und da war kein Funken Humor in ihren Augen, und die alte, schwarze Schärfe ihres Blicks wirkte getrübt wie von einem Kummer, den anzusprechen absurd wäre.
»Du weißt doch, daß ich keinen Zucker nehme. Hab dich auch mal dabei erwischt. Kann mir nicht vorstellen, warum er sich die Mühe machte, sie zu verstecken.«
Ich gab ihr ihre Tasse und rührte meine heftig um, obwohl ich auch keinen Zucker darin hatte. »Das weiß ich gar nicht mehr«, sagte ich. »Hast du ... ?«
»Ich habe überhaupt nichts getan. Hat dich in der Schule sicher populär gemacht, daß du es herumgezeigt hast, sollte mich nicht wundern. Habe gesehen, wie du es in deinen Ranzen gesteckt hast. Dein Vater dachte, ich hätte es weggeworfen. War ein paar Tage lang ganz schön verlegen, das kann ich dir sagen. Ich konnte ihm nicht sagen, was er für den Ruf seines Sohnes getan hatte, und dabei machte er sich solche Sorgen, daß du dir keinen >Namen machen< würdest, wie er es nannte. Er hatte große Erwartungen in dich gesetzt, das hatte dein Vater, leider, aber ich schätze, du hast dich ganz gut gemacht, auch wenn er nicht mehr da war, um es zu sehen.«
»Na ja, Mutter, es ist ...«
»Es gibt da ein neues Wort heutzutage. Poppen heißt es jetzt. Dein Vater hat’s nicht so genannt, da kannst du ganz beruhigt sein. Ihm ist nie ein unflätiges Wort
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