Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
dessen überhaupt bewußt ist. Man merkt es daran, wie sie das Spiel der Ideen um ihrer selbst willen genießt und Grundprinzipien in Frage stellt. Sie hält keine Meinungen parat wie Waffen in einer Rüstkammer. Sie fängt damit an, daß sie glaubt, sie könnte auch unrecht haben. Sie erkennt die Notwendigkeit im Lauf der Welt, einer Welt, die regiert wird vom Geld und denjenigen, die es bewegen und dabei versuchen, so viel wie möglich für sich selber zu behalten: all das, all die Übel, über die meine Frau sich so gern ausließ im Zwielicht des
Sozialismus oder über die man sich in gewissen Kreisen zu der Zeit auslassen mußte, während Leute wie ich sich benommen im Kreis drehten mit Leuten wie Plaskett, die fett im Zentrum des Ganzen hockten. Jane versteht das System, befördert es sogar, aber ab und zu schüttelt sie den Kopf, als wollte sie, daß die Leute sich nicht so bereitwillig damit abfänden. Sie zählt die Namen auf: Trafalgar House, Burmah Oil, IDC, Bradman, Shamji, Lyons, Guinness, ein paar Sultane, Ranson, Fayed, Polly Peck. Vieles von dem, was sie sagt, übersteigt meinen Horizont, aber sie versteht es, mir einige Dinge begreiflich zu machen, auch dann noch, wenn sie merkt, daß ich es nie begreifen werde. Es geht um Niedertracht und Geiz in einer solchen Unverfrorenheit, daß ihre Ruhe mich erstaunt. Im Vergleich dazu sieht Plaskett aus wie ein kleiner Junge, der mit Kaugummis handelt. Vielleicht liegt es einfach nur daran, daß sie die menschliche Natur durchschaut hat und nichts Besseres erwartet. Ihre intellektuelle und emotionale Überlegenheit ist völlig ohne Eitelkeit, als wäre sie, wie bei ihrer Kleidung, zufällig darauf gestoßen. Sie bemüht sich nicht. Adrian beobachtet sie sehr aufmerksam, als könne er sein Glück gar nicht so recht fassen. Denn es ist seine Liebe, die sie will, nicht seine gute Meinung oder seine Achtung. Ihr Lächeln oder ihr Achselzucken landet immer bei ihm, nachdem man die Weltläufe ein wenig auf Distanz geschoben hat. Bei jedem anderen Menschen könnte ihm meine Anwesenheit peinlich sein, da meine Erscheinung dazu neigt, immer schmuddeliger zu werden, je später der Abend wird, die Eiswürfel in meinem Glas klimpern, der Gestank meiner Zigarren die Luft erfüllt und das Lallen und die Zusammenhanglosigkeit meiner Sprache Aufschluß geben über die Überzeugungskraft meines Verstandes in nüchternem Zustand. Obwohl sie zu arbeiten hat, meint sie es ernst, wenn sie mich drängt, noch eine Nacht zu bleiben. Ich frage mich, wieviel Dankbarkeit auch bei ihr in ihrer Liebe zu Adrian ist. Was sonst noch darin ist, wage ich gar nicht zu vermuten. Ich kann es mir nicht verkneifen, nach den Geräuschen zu lauschen, die sie machen, nachdem wir zu Bett gegangen sind. Ich höre das Murmeln einer leisen Unterhaltung, und dann ist da nur noch Stille. Ich frage mich, ob sie Kinder haben wollen. Ich hoffe es. Sie wäre
eine wunderbare Mutter. Jane und ich teilen sein Geheimnis. Ich glaube, es verwirrt ihn, wenn sie zum Beispiel den Arm um ihn legt oder ihn berührt oder seine Hand nimmt. Er weicht dann meinem Blick aus, was ja durchaus berechtigt ist, aber er weicht auch dem ihren aus. Es ist, als hätte er immer noch zuviel von ihr zu lernen, als hätten sie beide noch einen langen Weg vor sich. Sie sind einander treu ergeben. Er ist ein Glückspilz. Ich versuche, mir mein eigenes Glück nicht anmerken zu lassen, wenn ich an diesen Tag in dem Café denke, an die Spiegeleier und die letzten fallenden Blätter. Mehr will ich im Augenblick über Adrian nicht sagen.
Bisher habe ich noch nichts über meine Mutter geschrieben, die inzwischen tot ist. Nach den vielen Jahren bei ihrer Schwester in Leicester war sie wieder zurückgezogen in ein Zimmer über dem Laden, den sie an eine asiatische Familie mit dem Namen Ranasinghe vermietet hatte. Während meiner Zeit in Suffolk besuchte ich sie zweimal und rief sie gelegentlich an. Sie hatte kein eigenes Telefon und nahm meine Gespräche in dem Büro im hinteren Teil des Ladens entgegen. »Sie kommt sehr bald, Mr. Ripple«, sagte dann immer einer oder eine der Ranasinghes, aber sie hatte es offensichtlich nie eilig. Sie rief mich nie an. Ich fragte sie, wie es ihr gehe, aber das war reine Zeitverschwendung, denn es war ihr völlig fremd, über den eigenen Zustand zu jammern. Ich erzählte ihr von Adrian und Virginia, und sie fragte mich nach meiner früheren Frau, über die ich absolut nichts zu erzählen hatte. Obwohl die
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