Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
eigentlich häufiger gewesen, sowohl im Sommer wie im Winter, denn ich konnte mich jetzt nur an hohe Wolken erinnern und an Windstöße, die die Bäume, die dichtbelaubt unter der Sonne standen, weiß werden ließen? Und dann, plötzlich, das Lachen. Habe ich schon erzählt, daß genau hier an dieser Stelle der Wind Virginia die lächerliche Pappmaché-Melone vom Kopf wehte, die sie, damals um die Sieben, trug, daß der Hut genau vor den Füßen eines Fußballers landete und er ihn ihr wiederbrachte und mit einer tiefen Verbeugung auf den Kopf setzte? Wobei mir einfiel, daß Weihnachten mal wieder vor der Tür stand und ich noch nicht entschieden hatte, ob ich Janes Einladung annehmen sollte, den Tag bei ihren Eltern zu verbringen, die irgendwo in Herfordshire wohnten. Ich dachte auch an Virginia, die nach einem Fehlstart nun wieder schwanger war, und ich fragte mich, ob ihre Mutter sie zu dem freudigen Ereignis besuchen würde. Oder ob ich es anbieten sollte, oder zumindest kurz danach, mit der Absicht, ihr ein bißchen was von der administrativen Last abzunehmen, ohne allerdings auch nur das auszugleichen zu können, was ich ihr an zusätzlichen Lasten aufbürdete? Meine Frau würde die Regie übernehmen, ohne in irgendeiner Weise zu stören. Wie taktvoll und fürsorglich war sie mir gegenüber doch gewesen, als unsere beiden geboren wurden.
Dieses und ähnliches ging mir an diesem Nachmittag durch den Kopf, als ich unter tiefhängenden Wolken auf der Hampstead Heath spazierenging und beschloß, Weihnachten allein zu verbringen, mit welcher Ausrede — eine Einladung von Freunden aus Suffolk? Weihnachten mit den Jenners. Das konnte ich mir gut vorstellen: die dem Anlaß entsprechende Beurteilung der Lage der Nation, das Umschlaglecken für gute Zwecke, das Hervorkramen eines Lebens im Dienst des Staates. Keine witzigen Hütchen. Keine Knallbonbons. Ich konnte davon ausgehen, daß Janes Eltern wirklich sehr nett sein würden, er Anwalt, sie Mathematiklehrerin. Adrian nennt sie »Mutter« und »Vater«, und so sollte es auch sein, alles in allem genommen. Warum verbringe ich dann Weihnachten nicht bei ihnen? Vielleicht um Adrian die Peinlichkeit zu ersparen, meine gräßlichen Weihnachtswitze überspielen oder sich
Sorgen machen zu müssen, ob ich mich vielleicht fremd fühle und dann einen kompletten Narren aus mir mache. Der arme Adrian, der an jenem Tag noch lange gelacht hatte, lange nachdem der Fußballer so getan hatte, als würde er Virginias Hut einen kräftigen Tritt versetzen, und er längst wieder auf ihrem Kopf saß und wir bereits auf dem Heimweg waren. Ich war es dann gewesen, der ihm sagte, jetzt reiche es aber, während meine Frau, zumindest hin und wieder, ebenfalls lachte, dabei jedoch neutral blieb und nur auf dem Rücksitz den Arm um Virginia gelegt hatte und ihre Wut besänftigte. Ich kann mich nicht erinnern, daß Adrian zu irgendeiner anderen Zeit gelacht hätte. Jetzt glaube ich, daß er nicht über das Mißgeschick seiner Schwester gelacht hatte. Sondern einfach über den Anblick eines rotgesichtigen, fetten Fußballers mittleren Alters, der sich verbeugte und einem jungen Mädchen eine winzige Pappmaché-Melone auf den Kopf setzte. Und so kam es, daß ich Virginias Verärgerung teilte, während meine Frau sich über Adrians ungewöhnliche Fröhlichkeit freute, weil sie wußte, daß sie vielleicht nicht wiederkam. Warum habe ich sie eigentlich die ganzen Jahre als so humorlos hingestellt, als solche Schulmeisterin? Warum gehe ich nicht noch einmal zurück und streiche das alles aus, schreibe es neu mit nachträglicher Einsicht und Freundlichkeit, fange noch einmal ganz von vorn an? Ist die Wahrheit so viel weniger wichtig als die Wahrhaftigkeit?
Ungefähr zwei Wochen sind vergangen. Der Waschsalon an der Ecke hat mich gebeten, ob ich mich an einem Nachmittag pro Woche um ihre Bücher kümmern kann, aber noch habe ich damit nicht angefangen. Sie haben mir das Büro im hinteren Teil des Ladens gezeigt, von wo aus ich den Leuten zuschauen kann, wie sie ihrer Unterwäsche etc. beim Herumwirbeln zuschauen, als wäre es eine andere Art Fernsehen — die intimen Wiederholungen ihres Lebens, die betäubende Non-Stop-Dokumentation, in die sie ihre Träume projizieren. Wenn ich dort bin, schaue ich dem schwappenden Schlingern meiner eigenen traurigen Unsichtbaren zu, ihrer quälenden Verwirrung, und wünsche mir, sie würden da drinnen nicht allein herumtorkeln, sondern zusammen mit den
Dingsdas
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